Nach dem Aufstehen einen entspannten Kaffee am Frühstückstisch trinken, danach mit dem Auto ins Büro fahren und nach Feierabend ab auf die Couch. Auch wenn diese Darstellung zugegebenermaßen stark vereinfacht und etwas überspitzt ist, gibt es einen Aspekt, der sich durch die meisten Tagesabläufe zieht: die lange Zeit, die wir im Sitzen verbringen. Es sind im Durchschnitt circa sieben Stunden, die wir pro Tag im Auto, am Schreibtisch oder auf der Couch sitzen, Tendenz steigend.
Vom Homo erectus zum homo sedens?
Dass der Mensch nicht zum Sitzen gemacht ist, liegt auf der Hand. Egal wie weit man zurückblickt, unsere Vorfahren verbrachten die meiste Zeit ihres Tages in Bewegung. Die Jäger und Sammler der Steinzeit legten große Distanzen zu Fuß zurück, um ausreichend Nahrung zu finden und sich vor Feinden in Sicherheit zu bringen. Und auch Jahrhunderte später verbrachten die Menschen noch einen großen Teil des Tages auf den Beinen, um die Landwirtschaft am Laufen zu halten und später in der Industrie zu arbeiten. Erst die letzten Jahrzehnte brachten einen fundamentalen Wandel der Lebensumstände mit sich, sodass wir heute nicht nur einen Großteil unserer Arbeitszeit, sondern auch weite Teile unserer Freizeit im Sitzen verbringen.
Volkskrankheit Rückenschmerzen
Der menschliche Körper hat sich über Millionen von Jahren an ein Leben in Bewegung angepasst. Daher ist es nicht überraschend, dass ein so grundlegender Wandel des Lebensstils nicht ohne Folgen bleiben kann. Laut dem Gesundheitsreport der DAK sind Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems für fast 21 % aller Krankenstände von Arbeitnehmern verantwortlich. Unangefochtener Spitzenreiter innerhalb dieser Erkrankungsgruppe sind dabei Rückenbeschwerden jeder Façon. Diese verursachen nicht nur Schmerzen bei den Betroffenen selbst, sondern auch bei der deutschen Wirtschaft. Allein durch Fehltage, die auf sämtliche Rückenleiden zurückgeführt werden können, und den damit verbundenen Produktivitätsausfällen entstehen so Verluste in Höhe von mindestens neun Milliarden Euro jährlich. Ein Betrag, der mit Hilfe kleiner Maßnahmen und im Zusammenspiel von Arbeitgeber und Arbeitnehmer sicher deutlich reduziert werden könnte. Ergonomische Arbeitsplätze, eine angemessene Beleuchtung und genug frische Luft im Büro mögen sich zwar nach vergleichsweise relativ banalen Ansätzen anhören, können in der Summe aber einen großen Beitrag zur Senkung der Krankheitstage beitragen. Ganz zu schweigen von der bereits angesprochenen Bewegung. Denn um eine Verbindung zwischen zu langem (und falschem) Sitzen und Rückenproblemen nachvollziehen zu können, muss man kein studierter Mediziner sein.
Ein erschreckender Blick in die Zukunft
Um genau diese Beziehung wissenschaftlich fundiert nachzuweisen, haben Forscher aus Großbritannien für eine Studie über 3.000 »Schreibtischtäter« aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien nach ihren gesundheitlichen Problemen gefragt. Die so gewonnenen Einblicke wurden anschließend mit Berechnungen zu Auswirkungen von ergonomisch schlechten Möbeln kombiniert. Herausgekommen ist nicht nur eine Aufzählung zahlreicher Gefahrenzonen für unsere Gesundheit, die von viel Zeit vor Bildschirmen über schlechte Beleuchtung am Arbeitsplatz bis hin zu Schlafentzug reichen, sondern auch eine Puppe, die die körperlichen Auswirkungen von zu langem Sitzen eindrucksvoll darstellt.
Emma, wie die Wissenschaftler sie liebevoll getauft haben, eröffnet uns also quasi einen Blick in unsere Zukunft. Das lebensgroße Modell vereint sämtliche physischen und optischen Veränderungen, die unsere Körper innerhalb der nächsten 20 Jahre erfahren, sollten wir weiterhin zu viel Zeit im Sitzen verbringen. Um ehrlich zu sein, ein schöner Anblick ist die Dame mit ihrem verformten Nacken, dem Buckel und den geröteten Augen nicht gerade. Aber genau diesen Effekt wollen die Forscher nutzen: Aufwecken durch Abschreckung.
Get moving!
Um nicht zu enden wie Emma, gibt es ein einfaches Gegenmittel: Bewegung. Keine Angst, niemand muss zum Marathonläufer werden und auch der gemütliche Abend auf der Couch ist nicht in Gefahr. Allerdings empfehlen Wissenschaftler, sich mindestens 30 Minuten pro Tag zu bewegen.
Und wenn man mal ehrlich ist, ist das in Summe gar nicht so viel. Besonders, wenn man die Bewegung über den Tag hinweg verteilt. Wie wäre es zum Beispiel damit, mal zu Fuß ins Büro zu gehen, eine Haltestelle früher auszusteigen oder das Auto zwei Straßen weiter weg zu parken? Oder ab und zu einfach den Aufzug gegen die Treppe und das Telefon gegen einen Abstecher in das Büro des Kollegen zu tauschen? Aufstehen und sich bewegen kann so einfach sein.
Mit Apps zu mehr Bewegung
So gut wie jeder von uns besitzt ein Smartphone oder eine Smartwatch, die er bzw. sie fast durchgängig bei sich trägt. Die meisten dieser digitalen Helferlein besitzen eingebaute Aktivitätstracker oder vorinstallierte Apps, die sich zuverlässig melden, sobald sie feststellen, dass man schon wieder viel zu lange still dagesessen ist. Nimmt man diese Erinnerungen und Hinweise ernst, erhält man – gemäß dem Gamification-Prinzip – auch eine Bestätigung in Form von Badges oder anderen visuellen »Belohnungen«. Fängt man einmal mit der Jagd nach diesen Abzeichen an, dauert es meistens nicht sehr lang, bis man den inneren Schweinehund regelmäßig überwinden kann. Denn die Wirkung solcher Apps ist nicht zu unterschätzen: Die psychologische Belohnung und die Bestätigung am Ende des Tages, etwas Gutes für sich getan zu haben, regen das Belohnungssystem des limbischen Systems im Gehirn an. Dadurch schüttet der Körper das Hormon Dopamin aus, was wiederum dazu führt, dass wir uns gut fühlen. Bei zu wenig Bewegung fungieren diese Apps als unbestechliche Kontrollinstanz, die unseren Bewegungsmangel schonungslos aufzeigt und somit unser schlechtes Gewissen fördert. Durch den Willen, das eigens gesetzte Ziel am nächsten Tag zu erreichen, entwickelt sich schnell eine Gewohnheit und wir werden kontinuierlich konsequenter darin, uns etwas Gutes zu tun.
Also nutzt bei Bedarf die digitalen Möglichkeiten, um gemeinsam mit ihnen euren inneren Schweinehund zu besiegen. Denn am Ende tut das weit weniger weh, als es der Rücken tut …