Die Realität ist die wahrnehmbare Wirklichkeit der Dinge, die eine physische Bestimmtheit besitzen. Zugegeben, das klingt im ersten Moment etwas sperrig und abgehoben. Analoge und digitale Persönlichkeiten unterscheiden sich jedoch genau an der Frage: Was ist real und was nicht? Hier kommen wir wieder in Berührung mit der physischen Bestimmtheit. So ist ein Insta-Post eben doch nur eine Abfolge von Einsen und Nullen und kein wirkliches Foto – welches sich physisch greifen, falten und bei Bedarf auch zerschneiden oder an den Spiegel pinnen lässt. Das Thema dieses Blogbeitrags lautet deshalb: digital ist nicht real – das digitale und analoge Ich.
Vergegenwärtigen wir uns zunächst, welche Themen momentan medial die Runde machen: Datenskandale auf der einen Seite, politische Instabilität auf der anderen. Klar, dass man da gerne den Kopf ausschalten und sich einen Moment Auszeit in den Tiefen von Timelines und Shopping-Paradiesen oder der Endlosigkeit des Internets gönnen möchte. Die Warnungen vor dem ausgeprägten Suchtpotential von Instagram und Co. im Hinterkopf, wühlen wir uns durch den Bilder- und Informationsdschungel, um häufig festzustellen: Diese 20 Minuten hätte ich anders besser verwenden können.
Die drei Teile der Persönlichkeit
Abstrakt formuliert: Bei jeder Nutzung des Internets wird eine digitale Persönlichkeit geschaffen. Je intensiver der Nutzer sich im Digitalen aufhält und seine Spuren hinterlässt, desto feiner lässt sich sein digitales Abbild erzeugen – anhand der gewonnen Daten, Verhaltensweisen, Fotos und Kommentare. Quasi ein »digitaler Frankenstein«.
Rechtlich befinden wir uns damit in einer prekären Lage. Denn das physische sowie das geistige Dasein sind juristisch als natürliche Persönlichkeit geschützt und vor dem willkürlichen Zugriff durch private oder staatliche Institutionen sicher. Die dritte Persönlichkeitsdimension des digitalen Daseins schwebt allerdings im juristischen Graubereich, da Gesetze staatliche Grenzen einhalten müssen, Daten jedoch nicht. Innerhalb der Bundesrepublik habe ich als Autor damit eine gewisse Sicherheit, dass dieser Text nicht für falsche Zwecke verwendet wird. Veröffentliche ich jedoch auf Servern, die außerhalb Deutschlands und der EU stehen, begebe ich mich auf rechtlich sehr glattes Eis.
Der schweizer Staatsrechtler und Bundesratsabgeordnete Beat Flach formuliert hierzu die grundsätzliche Forderung nach einem verfassungsrechtlichen Schutz der digitalen Persönlichkeit:
Während Berechenbarkeit und Manipulation der Nutzer perfektioniert werden, bedient dieser »homo digitalis« weiter seinen Hunger nach Newsfeeds, Einkaufsgewohnheiten, Interessensgebieten und Content, Content, Content. Dabei zählt einzig der eigene Vorteil, die eigene Darstellung, die eigene Überhöhung. Moral spielt, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete, einkalkulierte Rolle. Der vielfach beschriebene, gläserne Mensch wird zunehmend Realität und für den physischen Menschen zum Faktor. So sind dessen Handlungen und Aktionen durch seinen digitalen Fußabdruck vorhersagbar – das Gewohnheitstier Mensch ändert seine routinierten Abläufe bekanntlich eher langsam und ungern. Denkt man diesen Gedanken zu Ende, gestaltet sich ein etwas beängstigendes Bild wie es im Film »Die Truman Show« oder dem Literaturklassiker »1984« von George Orwell gezeichnet wurde.
Der große Bruder beobachtet dich
Totale Transparenz, in der es keine Geheimnisse oder Rückzugsräume gibt, alle Handlungen vom großen Bruder überwacht werden und per Leistungserfassung in ein alles bewertendes System einfließen – Moment, denkt ihr jetzt, das kommt mir aber bekannt vor. Ja, allerdings: In diesem Blogartikel aus dem vergangenen Jahr hatte unser Kollege Alex bereits Bezug auf das System des Sozialkredits in China genommen. Mittlerweile befindet es sich in der Testphase und ist bereits in etlichen Städten und Kommunen im Reich der Mitte alltäglich geworden. Die dabei verwendete künstliche Intelligenz ist so hoch entwickelt, dass es der Polizei im Jahr 2018 mit ihrer Hilfe gelang, einen flüchtigen Verdächtigen zwischen 50.000 Konzertbesuchern zu fassen.
Für die betroffenen Bürger heißt es in diesem System vor allem: Kopf unten halten und funktionieren – sonst könnten sie öffentlich angeprangert werden. Entweder auf Bildschirmen, die an hoch frequentierten Plätzen installiert sind, oder auch auf Websites, die speziell für diesen Zweck entwickelt wurden. Die Überwachung geht so weit, dass sogar das Cheaten in Online-Multiplayerspielen erfasst wird und als negatives Verhalten zu einem Punkteverlust im Sozialkreditsystem führt.
Dabei wird jedoch nicht nur negatives Verhalten sanktioniert, sondern gleichzeitig auch auf Anreize gesetzt und positives Verhalten mit Pluspunkten belohnt. So wird man bei korrektem Verhalten im Sinne der Regierung schneller befördert, überspringt Warteplätze bei der Wohnungszuteilung oder erhält vereinfachten Zugang zu Krediten. Ab dem kommenden Jahr soll das Programm dann im kompletten Reich der Mitte eingeführt werden und die »autoritäre Herrschaft automatisieren«. Wie ihr seht, hat das digitale Verhalten vieler Millionen Chinesen bald ganz realen Einfluss auf ihr Leben.
Ihr möchtet wissen, wie sich das anfühlen könnte? Wir haben auf Basis dieses Artikels ein kleines Quiz erstellt. Findet damit selbst heraus, wie euer Leben aussehen könnte, wenn euer Handeln vom Staat bewertet wird und reale Konsequenzen nach sich zieht:
Fazit
Seit Einführung der DSGVO bekommt die Diskussion über den Umgang mit Daten ein breites öffentliches Bewusstsein. Obgleich es nun eine politische und rechtliche Grundlage für den Datenschutz gibt, obliegt die Hoheit über die Daten immer noch jedem Einzelnen. Eine Reflektion des eigenen Digitalkonsums schadet in keinem Fall und kann wie im Fall des Grünen-Politikers Robert Habeck auch dazu führen, sich komplett aus den sozialen Medien zurückzuziehen. Diesen endgültigen Schritt werden wohl die wenigsten von euch erwägen, eine gewisse Selbsteinschränkung scheint jedoch häufig ein sinnvoller Weg zu sein. Tools hierfür gibt es ausreichend, eine kurze Google-Anfrage genügt bereits – und euer digitales Ich hat wieder etwas mehr über euch hinzugelernt.