Schon wieder eines dieser englischen Buzzwords im Marketing? Ja. Und nein. Auch ich habe den Begriff »Growth Hacking« zunächst als Wichtigtuer-Anglizismus abgetan und mich nicht näher damit befasst. Irgendwann war meine Neugier dann aber doch stärker und ich stellte fest: Growth Hacking ist eine überaus wirksame Methode, mit teils winzigen Maßnahmen das Wachstum von Unternehmen voranzutreiben oder sogar – im positivsten Sinne – explodieren zu lassen. Und ich finde: Jeder sollte zumindest wissen, wie das funktioniert.
Woher kommt der Begriff »Growth Hacking«?
Fangen wir bei den Basics an: dem Namen. Und übersetzen dafür einfach die beiden Bestandteile des englischen Begriffs: »Growth« bedeutet Wachstum, z. B. in Hinblick auf Reichweite, Kunden oder Umsatz. »Hacking« kommt vom Englischen »to hack into a system«, also dem Eindringen in ein System – das kennt man aus Film und Fernsehen insbesondere von Computer-Hackern, die sich Zugang zu Datenbanken verschaffen wollen. In unserem Zusammenhang beschreibt Hacking, unter Einsatz von Wissen, Kreativität und Ausdauer verschiedenste Methoden zu testen, um das Ziel (in diesem Falle: Wachstum) zu erreichen. Alternativ kann man »Hacking« als Ableitung vom englischen »Hack« verstehen, also Tipp oder Trick. Growth Hacks zeichnen sich dadurch aus, dass sie relativ kleine Stellschrauben mit großer Wirkung sind und sich daher schnell implementieren lassen.
Und was ist das jetzt genau?
Daran scheiden sich die Geister: Online kursieren die verschiedensten Erklärungen.
Ich zitiere an dieser Stelle Hendrik Lennarz, den Autoren des Buches »Growth Hacking mit Strategie«:
»Growth Hacking ist ein Prozess. Dieser optimiert das Zusammenspiel der agilen und kundenzentrierten Produktentwicklung, mit einem skalierenden Geschäftsmodell, dem Testen der erfolgreichsten Marketing-Kanäle sowie eines kontinuierlichen Umsetzungs- bzw. Optimierungsprozesses. Diesen einen Growth Hack, der ein Produkt über Nacht durch die Decke schießen lässt, gibt es leider nicht.«
Der Erfinder des Begriffs »Growth Hacking«, Sean Ellis, schrieb 2010 in einem Blogartikel:
»Ein Growth Hacker ist jemand, der auf Wachstum eingenordet ist. Alles, was er unternimmt, wird genau auf dessen mögliche Wirkung auf skalierbares Wachstum hin untersucht.«
Weiterhin schreibt er, dass ein effektiver Growth Hacker die Kreativität mitbringen muss, um neue Wege zu finden, das Wachstum voranzutreiben – gepaart mit (zumindest grundlegendem) Wissen über Technologien, die zur Umsetzung nötig sind. Zudem ist es nötig, dass er diszipliniert dem Growth Hacking Prozess folgt, in dem man Ideen priorisiert, testet und auf Basis der Ergebnisse auch aussortiert.
Growth Hacking setzt also nicht auf Personen mit Wissensschwerpunkten, sondern eher auf Allrounder, die über Rundumblick verfügen. Wichtig ist dabei: Jeder kann Growth Hacker sein – egal, in welcher Abteilung er arbeitet oder welche Verantwortung er trägt. Er sollte lediglich das richtige Mindset haben und dieses entsprechend dem Prozess einsetzen wollen und können.
Genau deshalb ist Growth Hacking auch kein reguläres Marketing-Tool, das ausschließlich von Marketing-Abteilungen oder Agenturen genutzt wird. Für einen erfolgreichen Prozess wäre es ideal, dass verschiedene Growth Hacker mit unterschiedlichstem Know-how gemeinsam auf das Ziel hinarbeiten und ihre Ideen und Fähigkeiten miteinander teilen. Da dieser Prozess viel Experimentieren, viel Trial-and-Error erfordert, nimmt er auch eine gute Portion Zeit in Anspruch – die das Ergebnis in den meisten Fällen aber wert ist.
Geht’s etwas konkreter, bitte?
Na klar. Sehen wir uns drei Beispiele für erfolgreiche Growth Hacks an:
1. Hotmail
Der wohl bekannteste und auch erste Growth Hack kommt von diesem Freemail-Anbieter. Nach dem Launch 1996 pendelte sich die Nutzerzahl bei 20.000 ein. Um das Wachstum der Userzahl anzuregen, baute der Anbieter ans Ende jeder über Hotmail versendeten E-Mail den Satz »Get your Free Email at Hotmail« ein – und die Anzahl der registrierten Nutzer explodierte innerhalb eines halben Jahres auf eine Million.
2. Dropbox
Als Filehosting-Plattform war es für Dropbox zu kostenintensiv, neue User zu generieren. Die günstige und gleichzeitig wirksamere Alternative zu Werbeanzeigen: ein Freunde-werben-Programm. Für jeden geworbenen Freund erhielten die Nutzer 500 MB zusätzlichen Speicherplatz. Zusätzlicher Win dieser Variante: Empfehlungen von Freunden werden als verlässlicher wahrgenommen und sind damit erfolgreicher als Werbung. Innerhalb von 15 Monaten stieg die Anzahl der registrierten Nutzer von 100.000 auf vier Millionen.
3. PayPal
Der Online-Bezahldienst verschaffte sich einen User-Boost, indem er künstliche Nachfrage nach PayPal als Zahlungsmethode auf eBay erschuf. Das Unternehmen programmierte einen Bot, der dort Produkte kaufte und dabei ausschließlich via PayPal bezahlte. Durch die steigende Nachfrage integrierten immer mehr Verkäufer die neue Bezahl-Option. Und waren von deren UX so angenehm überrascht, dass ihre Begeisterung für Weiterempfehlung und somit stetig steigende Nutzerzahlen sorgte.
Ihr seht: Der Ansatzpunkt für einen Growth Hack kann sehr unterschiedlich sein. Denn jedes Unternehmen und jedes Produkt, jede Zielgruppe und jeder Zielmarkt erfordert eine andere Herangehensweise. Deshalb kann ich leider keinen Masterplan mit an die Hand geben – lediglich die Empfehlung, dem Ganzen eine Chance zu geben.
Auch bei arsmedium stellen wir uns aktuell der Herausforderung, bestehende Ideation-Prozesse aufzubrechen und mit dem Prinzip des Growth Hacking noch mehr out-of-the-box zu denken. Stay tuned für Anwendungsbeispiele aus der Praxis, die wichtigsten Dos und Don’ts sowie weiteres Know-how aus unserem Fundus innovativer Kreativitätstechniken.