STRATEGIE

Unhassbar? Hate Speech und Strategien zur Gegenrede

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Es ist längst zur Binsenweisheit geworden: Soziale Medien sind nicht nur ein Segen, sondern auch ein Fluch. Neben dem Missbrauch persönlicher Daten stehen Facebook und Co. noch für ein weiteres Thema in der Kritik: Wegen ihrer Möglichkeiten zur Verbreitung von Fake News und Hasskommentaren. Diese Problematik will ich hier näher beleuchten und Strategien zur Gegenrede aufzeigen.

Hate Speech umfasst nicht nur Sprache, sondern tritt auch in Form von Bildern auf. Insgesamt handelt es sich dabei um einen nicht ganz klar fassbaren Begriff, die Amadeu Antonio Stiftung listet hier jedoch folgende Kriterien auf, die Hate Speech typischerweise erfüllt:

  • Beinhaltet Abwertung, Angriffe, Beschimpfung, Hass
  • Beleidigt und verleumdet Gruppen von Menschen bzw. spricht ihnen Gleichwertigkeit oder gleiche Rechte ab, oft auch das Menschsein an sich (die Dehumanisierung von bestimmten Bevölkerungsgruppen, z. B. durch Bezeichnung als Tiere oder Ungeziefer, ist in der Genozidforschung eine zentrale Vorstufe auf dem Weg zum Völkermord)
  • Ruft (direkt oder indirekt) zu Gewalt oder Selbstjustiz auf bzw. suggeriert einen Handlungszwang oder eine Notwehrsituation, die faktisch nicht existiert

Als Toxic Speech werden an selber Stelle Diskussionsbeiträge bezeichnet, die das Ziel haben, eine Debatte künstlich zu befeuern und die Gesellschaft zu spalten, u. a durch:

  • Desinformationen und manipulierte Erzählungen (= Fake News)
  • Abwertende Verallgemeinerungen, ausgehend von Einzelereignissen
  • Verbreitung eines homogenen und antipluralistischen Gesellschaftsbilds
  • Beschädigung der demokratischen Debattenkultur, z. B. durch Beleidigungen mit dem Ziel der Mundtotmachung

Solche Formen von Hate bzw. Toxic Speech finden sich nicht nur auf den Facebook-Seiten von rechtspopulistischen Gruppierungen und Organisationen, sondern sammeln sich auch in den Kommentarspalten von Zeitungs-Artikeln oder verbreiten sich über Hashtags via Twitter. Oftmals handelt es sich dabei nicht um private Einzelmeldungen, sondern um gezielte Propaganda-Kampagnen extrem rechter Akteur*innen.

Rechte Trolle: Eine kleine, aber laute Minderheit

Eine dieser Akteur*innen ist die Gruppierung Reconquista Germanica, die sich über den Gaming-Chat Discord organisiert. Ziel dieser rechten Trolle ist es, die politische Debatte mithilfe von Fake-Accounts und massenhaften Beiträgen, rechten Memes und gezielten Beleidigungen politischer Gegner*innen zu beeinflussen. Ihnen geht es dabei nicht um inhaltliche Argumentation, sondern um die Provokation und die Außenwirkung auf andere Diskussionsteilnehmer*innen.

Eine wichtige Rolle neben leibhaftigen rechten Propagandist*innen spielen auch Social Bots, also Programme, die eigenständig Beiträge in sozialen Medien verfassen und den Anschein erwecken sollen, sie seien echte Nutzer*innen. So stammten 28 % der Tweets zum UN-Migrationspakt von Social Bots, also fast ein Drittel aller Diskussionsbeiträge. Und die Studie Hass auf Knopfdruck kommt zu dem Schluss, dass nur 5 % der Accounts, die bei Hasskommentaren aktiv sind, rund 50 % der »Gefällt mir«-Angaben generieren. Es ist also oft nur eine kleine Minderheit, die den Hass mit zahllosen Likes nach oben pusht.

Das Ergebnis: Hasskommentare scheinen für den neutralen Beobachter eine breite Zustimmung zu erfahren, während sie in Wirklichkeit nur von einer überproportional aktiven (und in vielen Fällen vermutlich nicht einmal menschlichen) Minderheit gehypt werden. Und weil die Anzahl der Likes und Kommentare bei Facebook direkten Einfluss darauf haben, ob ein Beitrag im Newsfeed weit oben erscheint, verbreiten sich solche Beiträge besonders rasant.

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Virtueller Hass und reale Gewalt: Konkrete Gefahren durch Hate Speech

Doch warum ärgern, es sind doch schließlich nur Kommentare im Internet, oder? Leider mitnichten. Der Journalist und Blogger Richard Gutjahr kann davon ein Lied singen. Der langjährige Reporter und Nachrichtenmoderator war 2016 während des terroristischen Anschlags mit einem LKW in Nizza zufällig Augenzeuge und einige Tage später auch in der Nähe, als ein rechtsextremer Amokläufer im Münchner Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen erschoss. Dabei berichtete er von beiden Tatorten für die ARD. Seine Anwesenheit an den beiden Orten des Geschehens sowie die Tatsache, dass Gutjahrs Frau jüdischen Glaubens ist, nahmen zahlreiche Hassredner*innen zum Anlass, Gutjahr als Teil einer Verschwörung zu diffamieren, ihn und seine Familie zu bedrohen und seine Privatanschrift weiterzuverbreiten. Ziel solcher Hate Speech ist vor allem die Einschüchterung und Mundtotmachung von politischen Gegner*innen. Und nicht selten schlägt der Hass im Netz in reale Gewalt um: Rechtsradikale Mörder wie Anders Behring Breivik oder Dylann Roof hatten sich zuvor im Internet radikalisiert.

In einer völlig neuen Dimension der Perversion zeigte sich die Durchdringung von Hass im Internet und der realen Welt aber bei dem mutmaßlich rechtsterroristischen Massenmord in Christchurch, bei dem ein Attentäter mindestens 50 Menschen ermordete und seine unfassbare Tat dabei live über Facebook streamte. Rund 200 Menschen sahen tatenlos live dabei zu, wie der Attentäter in eine Moschee eindrang und wahllos Menschen ermordete. Erst 29 Minuten nach dem Beginn des terroristischen Anschlags und 12 Minuten, nachdem der Stream schon beendet war, wurde das Video erstmals gemeldet. Bis es dann schließlich entfernt wurde, hatte es rund 4.000 Views – Kopien des Videos verbreiteten sich anschließend millionenfach im Netz.

So bekommt realer Hass online eine Bühne und wird von extrem rechten Akteur*innen weiterverbreitet, verharmlost, oder ins völlig Absurde verkehrt. Und aus medienwissenschaftlicher Perspektive ist sicherlich auch die Frage relevant, ob die Tat auch in dieser massiven Brutalität durchgeführt worden wäre, wenn es die Möglichkeit des Livestreams und damit der Zurschaustellung des Verbrechens nicht gegeben hätte. Oder anders formuliert: Inwieweit das Medium Livestream die Tat in dieser Form überhaupt erst evoziert haben könnte.

Neben der Bedrohung durch Radikalisierungsprozesse birgt die Hate Speech aber eine viel subtilere und dadurch auch gesamtgesellschaftlich relevante Gefahr: Die der Abstumpfung und Gleichgültigkeit des Diskurses gegenüber extremistischen Positionen. Durch die Verwendung von Hate Speech verschiebt sich die Grenze der Diskussion. Formal, indem Beleidigungen statt Argumentationen etabliert werden. Und inhaltlich, weil beispielsweise rassistische Positionen zunehmend als legitime Teile des Diskurses akzeptiert werden.

Klare Kante zeigen: Strategien gegen Hate Speech

Umso wichtiger ist es, Hate Speech etwas entgegenzusetzen, indem man aktiv Counter Speech, also Gegenrede, betreibt. Hierfür gibt es mehrere Strategien, beispielsweise auch gezielt für die Moderation der eigenen Webseite. Zu den wichtigsten zählen:

  • Nachfragen: Bis zum Kern der Aussage vordringen und vermeintliche Zahlen und Fakten hinterfragen. Dadurch werden evtl. Missverständnisse geklärt und Nutzer*innen bekommen die Möglichkeit, ihren Post vielleicht noch einmal selbst zu überprüfen und zu reflektieren.
  • Benennen: Rassistische Hassrede, Aufrufe zu Gewalt und Selbstjustiz oder geschichtsverfälschende Lügen müssen auch klar als solche benannt werden. Hier kann man z. B. mit rhetorischen Fragen arbeiten: »Ist Ihnen klar, dass ihr Beitrag rassistisch ist?« Oder klipp und klar auf den Punkt bringen: »Dieser Beitrag ist ein Aufruf zur Gewalt.«
  • Nicht endlos diskutieren: Extrem rechte Akteur*innen besitzen ein ideologisch geschlossenes und für Argumente zumeist nicht zugängliches Weltbild. Hier macht es oftmals keinen Sinn, Zeit und Energie in stringente Argumentationsketten zu investieren. Kurze Posts, die sich strikt gegen die vorgetragene Hate Speech positionieren, sind dann sinnvoller.
  • Melden: Bei Facebook und Twitter lassen sich Beiträge direkt melden, außerdem gibt es noch eine gesonderte Facebook-Meldeplattform für Inhalte, die gemäß dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz rechtswidrig sind. Strafrechtlich relevante Inhalte kann man außerdem auch bei der Polizei zur Anzeige bringen, eine Übersicht der Online-Anlaufstellen für die meisten Bundesländer findet sich hier. Vermeintlich rechtswidrige Inhalte kann man zunächst auch hier oder hier prüfen lassen.
  • In Antwort-Kommentaren den Hashtag #ichbinhier verwenden. Der mit dem Grimme Online Award ausgezeichnete Verein ichbinhier unterstützt schnell mit sachlichen Kommentaren und Likes, wenn rechte Propagandist*innen versuchen, den Diskurs in Kommentarspalten an sich zu reißen.

Denn auch wenn es viel Hass im Netz gibt, existieren auch zahlreiche Akteur*innen, die sich für Gegenrede und eine vernünftige Diskussionskultur ein- und der Hate Speech etwas entgegensetzen möchten. Zum Beispiel die von TV-Moderator Jan Böhmermann ins Leben gerufene Initiative Reconquista Internet, die den Propaganda-Trollen von Reconquista Germanica entgegenarbeitet. Eine interessante Anlaufstelle und zahlreiche Memes, die sich zur Counter Speech verwenden lassen, finden sich auf no-hate-speech.de. Der Verein Mimikama bietet ein Meldeformular zur Überprüfung von Fake News und mithilfe des Botometer der Indiana University lassen sich verdächtige Twitter-Accounts als Social Bots entlarven. Die wichtigsten Akteur*innen sind aber wir selbst. Indem wir nicht wegschauen, sondern wachsam bleiben, Hass und Lügen klar benennen und uns eindeutig positionieren. Vielleicht ja schon beim nächsten Besuch auf Facebook, Twitter oder Instagram.

autor.

Autorenbild Michael Gsell

Seit Ende Mitte der 1980er Jahre weilt der mit Willy Brandt, Josef Stalin und Christina Aguilera Geburtstag feiernde gebürtige Fürther nun auf der Erde. Von seiner Grundschullehrerin als „zerstreuter Professor“ tituliert, bemühte sich der damals noch Blassedünnejunge nach dem erfolgreichen Abitur und 9 Monaten im Dienst der Zivilgesellschaft um eine akademische Gesellen- und Meisterausbildung auf dem Gebiet der Medienwissenschaft an der Uni Regensburg.

Mit dem Meisterbrief im Gepäck machte sich der von Kreuzbandrissen ausgebremste Profi-Fußball-Couch-Kommentator zurück in fränkische Gefilde und verdingte sich als freier Knipser und Schreiberling im Auftrag der Fürther Nachrichten, bis ihn Mitte 2014 schließlich der Ruf arsmediums ereilte und er dort seitdem fleißig diverse Contents managt und seine nahezu zwanghafte Klugscheiß-Ader zum Leidwesen seiner Kolleginnen in Form von »Qualitätssicherung« auslebt.

Privat trifft man den Pogo-affinen Punkrockfreund, Dudenrapper und Filmliebhaber im Chor der Fürther Musikschule, beim Studium des Karatedō und Kyusho Jitsu im Dojo und in der Zirndorfer ZAE, in der er Geflüchtete im Rahmen eines E-Learning-Kurses beim Erlernen der deutschen Sprache unterstützt.

»When the seagulls follow the trawler, it is because they think sardines will be thrown into the sea.«
Eric Cantona

Der Sprache misst er auch bei seiner Arbeit eine besondere Bedeutung zu, da diese unser Denken konstituiert und darüber auch maßgeblich unsere Emotionalität und unser Handeln steuert. Sie eröffnet uns neue Perspektiven und lässt uns eintauchen in andere emotionale Welten, die wie im obigen Zitat beispielsweise anthropozentrische Denkmuster zu unterminieren vermögen. In diesem Sinne plädiert er für eine möglichst reflektierte Verwendung von Sprachinhalten, die vor allem progressive Zwecke verfolgen möge, schließlich habe die Innovation das Leitmotiv jeglichen gestalterischen Schaffens zu sein – idealerweise verbunden mit einem Augenzwinkern.

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