Du arbeitest an einem Projekt für deinen Klienten und sollst die Benutzeroberfläche für eine neue Anwendung entwerfen. Es gab viele Besprechungen über das neue Produkt, Research wurde betrieben und jetzt ist es Zeit für dich, mit dem Erstellen von Konzepten und Prototypen zu starten. Die kreative Phase kann beginnen – oder?
Wenn es um UX Design geht, wird die Rolle der Kreativität immer noch stark diskutiert.
Denn die Designs, die du erstellen sollst, sollen ja schließlich den Wünschen und Einschränkungen mehrerer Akteure entsprechen – Marketingabteilung, Entwickler Geschäftsinhaber, … Ach, und nicht zu vergessen, die wichtigste Komponente: Der Nutzer! Aber wo ist da noch Platz für frische, neue und innovative Ideen?
So sitzt du also vor deiner Arbeit und stellst dir unweigerlich einige Fragen:
»Wie kreativ soll/darf ich mit diesem Design sein? Inwieweit greife ich fremde Ideen und Einschränkungen auf oder entwickle meine eigene Vision? Wie weit kann ich von den Ideen abweichen, die mir gegeben worden sind?«
Du sprichst also mit deinem Ansprechpartner über das Projekt und er sagt:
»Mach einfach, sei kreativ. Mal sehen, was dir einfällt.«
Klingt natürlich erst mal ganz nett, aber jetzt musst du schließlich herausfinden, was es bedeutet, im UX Design kreativ zu sein – ist Kreativität etwas, das du einfach einschalten kannst? Ist es ein Prozess, dem du folgst? Sind manche Leute per se kreativ – und andere nicht? Und wenn ja, zu welcher Gruppe gehörst du?
In diesem Artikel untersuche ich also, was Kreativität überhaupt ist und welche Rolle sie im UX Design spielt.
Was ist eigentlich diese »Kreativität«?
Kreativität kann für viele Menschen eine Menge bedeuten und nicht jeder hat sofort das gleiche Bild vor Augen. Erst recht, wenn es darum geht, Kreativität in einem vergleichsweise neuen Bereich wie dem UX Design zu definieren. Doch nehmen wir das Wort mal genauer unter die Lupe:
Der Begriff »Kreativität« stammt vom lateinischen Wort »creare« ab, was so viel bedeutet wie schaffen oder erzeugen. Eine intuitive und gängige Definition könnte lauten: »Kreativität ist ein Prozess, der zu originellen und wertvollen Ergebnissen führt.«
Aber was ist damit genau gemeint? Diese Definition hat mehrere Aspekte:
- Prozess:
Es ist nicht nur das Endergebnis, das definiert, ob jemand kreativ ist. Um kreativ zu sein, wird davon ausgegangen, dass du einem bestimmten Prozess gefolgt bist. - Ergebnis
Obwohl der Prozess wichtig ist, reicht er allein nicht aus. Um behaupten zu können, kreativ gewesen zu sein, muss am Ende auch ein Output entstanden sein. - Originalität und Wert
Das Ergebnis, das du am Ende des Prozesses hast, muss obendrein noch einzigartig und für jemanden von (wie auch immer definiertem) Wert sein.
Im UX Design treffen sich Struktur und Kreativität
Im UX Design existieren verschiedenste Ansätze, um ein interaktives System zu entwickeln.
Eines davon ist das Human Centered Design (HCD). Das Grundprinzip von HCD ist es, die wahren Bedürfnisse der Menschen, basierend auf Befragungen und Beobachtungen, zu erkennen und daraus digitale Produkte oder interaktive Systeme zu entwickeln. Diese sollen dem Nutzer letztendlich helfen, seine Aufgaben effektiv, effizient und zufriedenstellend zu erledigen.
So sind die Prozess-Schritte des HCD definiert:
- Plan
Zuerst planst du dein Vorgehen – wichtige Fragen für den Anfang sind natürlich: Was ist die Deadline? Wo im HCD fange ich an? Wie lange dauern die Phasen? Was ist die Erwartungshaltung im Team? Und nicht zu vergessen: Was gibt das Budget her? - Understand
Hier versuchst du das zu lösende »Problem« so gut wie möglich zu durchdringen. Wer ist der Nutzer, was ist der Nutzungskontext, was funktioniert nicht oder soll verbessert werden? In einfachen Worten: Hier soll Research betrieben werden. - Specify
Hier trägst du die neu gewonnenen Erkenntnisse zusammen und erstellst erste Konzepte. Von Brainstorming-Sessions bis hin zur ausgearbeiteten Userflows findet hier alles Platz. - Produce
Hier beginnst du damit, die ersten Prototypen zu erstellen. Diese können natürlich in den verschiedensten Detailgraden ausgearbeitet werden. Man spricht von Low- oder High-fidelity Prototypes. Oder in einfachen Worten: von ersten groben, von Hand gezeichneten Layouts bis hin zur voll funktionsfähigen, gecodeten App. - Evaluate
Hier testest und prüfst du die Prototypen auf Herz und Nieren. Entsprechen sie den Anforderungen der Nutzer? Ist der Nutzungskontext bedacht worden? Lösen sie das Problem?
Wichtig ist hierbei zu erwähnen, dass diese Methode nicht linear funktioniert, sondern ein Kreislauf ist. Hier wird so oft wie möglich und nötig nachgeforscht, neu konzipiert und gegengetestet, bis der Prototyp den Anforderungen entspricht. Dabei gibt es natürlich auch keine Vorgaben, wie schnell man diesen Zyklus durchläuft. Lässt man direkt schon jedes kleinste Detail gegenprüfen? … Das ist wohl eine Budget-Frage.
Doch wo hat die Kreativität jetzt ihren Platz? Böse Zungen behaupten, dass es wenig echte Kreative im UX Design gibt, da viele nur stur den Prozessabläufen folgen oder sich viel zu sehr im Detail versteifen. Doch der Witz ist: In jedem einzelnen dieser Schritte kannst bzw. sollst du sogar kreativ sein. Nehmen wir die Research-Phase als Beispiel. Auch hier musst du nicht stur den Methoden folgen, die man schon seit Jahren immer und immer wieder benutzt. Nimm diese eher als Stütze und versuch etwas Neues, denn jeder Fall ist anders als der zuvor. Man bedenke auch, dass Interesse ein starker Antrieb für Kreativität ist. Denn je mehr man weiß und über die Thematik im Bilde ist, desto interessierter und kreativer ist man bei der Sache.
Viel geeigneter, um kreativ zu sein oder neu und intuitiv zu denken, ist die Specify-Phase. Du bist gerade dabei, die Erkenntnisse aus der Research-Phase zu verarbeiten und erste Lösungsansätze zu kreieren. Wie geht man da am besten vor? Wie erlange ich kreative Ideen? Das führt uns zum nächsten Thema …
Für sich alleine und ganz still und heimlich?
Bloß nicht! Ein ganz wichtiger Faktor ist das Miteinander, denn kreative Leistungen sind häufig das Ergebnis gemeinsamer Arbeit in einer Gruppe. Besonders wichtig ist es daher, eine lockere Umgebung zu schaffen, in der sich alle Beteiligten wohlfühlen und gegenseitig unterstützen. Das erleichtert es den Teilnehmer:innen, eingefahrene Denkbahnen zu verlassen und auch ungewöhnliche, verrückte Ideen zu kommunizieren. Miteinander kommt man eher auf neue und ausgefallene Ideen, auf die man alleine nicht gekommen wäre. Zusätzlich förderlich ist natürlich eine intrinsische Motivation, das heißt, dass die Teilnahme am kreativen Prozess an sich Spaß macht. Also schnapp dir deine Kolleg:innen, einen Haufen Post-its und freie Wände mit viel Platz.
Inwieweit helfen Kreativmethoden?
Kreativmethoden helfen dabei, die eben beschriebene Atmosphäre zu schaffen, in der kreative Ideen eher zum Vorschein kommen. Das methodische Vorgehen verringert außerdem die Angst davor, keine Idee zu haben, und hilft dabei, einfach mal anzufangen. Viele der Methoden basieren auf heuristischen Prinzipien wie dem Assoziieren, Abstrahieren, Analogien bilden, Kombinieren und Variieren. Sie helfen, neue Lösungswege zu finden. Man kann sie also als Hilfsmittel betrachten, um divergentes Denken anzuregen und Denkblockaden abzubauen.
Eines muss jedoch klar sein: Kreativmethoden sind kein Patentrezept für kreative Ideen. Qualität und Quantität der Ergebnisse sind immer abhängig von der Aufgabe, dem Briefing, der angewandten Methode, der Atmosphäre, den Teilnehmer:innen und deren Tagesform.
Fazit
Kreativität ist eine Denkweise und keine Technik oder ein Ablauf von Phasen!
Diese helfen einem zwar und geben der kreativen Entfaltung Halt, doch viel wichtiger ist das Mindset dahinter. Sei immer offen für alles, stets motiviert und mit Spaß an der Arbeit. Trau dich, einfach mal kindisch zu sein oder extrem und viel zu groß zu denken. Das ist meiner Meinung nach der Schlüssel zur wahren Kreativität.
Als Letztes möchte ich nochmal erwähnen, welch großen Mehrwert das Arbeiten und Kreativsein miteinander hat. Probiert’s aus! Ist einfach effektiver … mal ganz davon abgesehen, dass es alleine längst nicht so viel Spaß macht!
Das war's, vielen Dank! … *mic drop*