Neue Erfahrungen macht man eigentlich viel zu selten. Und oft ist es der Gruppenzwang, der einen dazu bringt, Sachen auszuprobieren, um die man jahrelang einen weiten Bogen gemacht hat. So war es auch bei mir: Morgensport war lange meine persönliche Horrorvorstellung. Bis schließlich eine Mail über unseren internen Verteiler kam, in der Lizzy vorschlug, sich doch am Freitagmorgen vor der Arbeit gemeinsam zu verrenken.
Versuch macht klug
Da ich gerne Yoga mache, beschloss ich, dem Ganzen einen Versuch zu geben. Ich habe auch gleich für den Worst Case vorgesorgt und unsere Kursleiterin eingeweiht, dass es nichts mit ihr zu tun haben würde, falls ich nach zehn Minuten die Flucht ergreife. Das musste ich dann aber doch nicht machen. Dafür habe ich die spannende Erfahrung gemacht, morgens frisch in die Arbeit zu starten. Mein Kreislauf war zwar etwas flau, aber im Großen und Ganzen fühlte ich mich wach und ausgeschlafen. Das ist tatsächlich ein Gefühl, das ich als überzeugter Morgenmuffel nicht kenne. Natürlich spüre ich den Unterschied zwischen einer Nacht mit mehr und einer mit weniger Schlaf, aber bis ich mich richtig wach fühle, können durchaus einige Stunden vergehen.
Die Wissenschaft stützt mein subjektives Empfinden: Da beim Sport der Stoffwechsel in Gang kommt, verbessert sich der Energiepegel, was meine Wachheit erklärt. Das körperliche Leistungshoch ist bei den meisten Menschen am späten Nachmittag – es liegt daher nahe, morgens eine sanfte Sportart wie Yoga auszuüben, die einen nicht gleich an seine körperlichen Grenzen bringt. Die vielen positiven Auswirkungen von Yoga, sei es für körperliche oder psychische Beschwerden werden in immer mehr Studien beschrieben.
Gemeinschaftliches Ritual
Die positiven Effekte bestätigen auch meine Kolleginnen und Kollegen. Als ich im Yoga-Gruppenchat die Frage stelle, warum sie jeden Freitag denn gerne früher aufstehen, folgen viele Antworten. Nicht nur die gesundheitlichen Vorteile und der Spaß am Yoga werden genannt, sondern auch die Atmosphäre. Da ist von einem Ritual unter Kollegen die Rede, einem Moment ganz für sich, einem tollen Ausgleich zu einem »sitzenden« Job.
Besonders berührend finde ich Petras Aussage: »Daneben finde ich es außerdem schön, dass die Agentur nicht nur ein Ort der Arbeit ist, sondern auch ein Ort für Genuss, Entspannung etc. Das lädt unsere heiligen Hallen mit einer echt angenehmen Energie auf.«
Folgerichtig werde ich auch darauf hingewiesen, dass es ja gar nicht die Arbeit selbst ist, für die man früher kommt – sofern man das überhaupt tut und es nicht sowieso die übliche Anfangszeit ist. Rebecca schreibt:
»Wenn wir da stehen und den Sonnengruß machen, blendet man vollkommen aus, dass man gerade auf der Arbeit ist. Dass andere schon den Konferenzraum für ein Meeting herrichten. Das ist einfach mal ein Moment, den man so für sich hat (und fürs Team). Finds immer wieder schön, wenn sich neue Leute zu uns trauen und mitmachen.«
Die Kunst zu atmen
Diese besondere Atmosphäre ist etwas, das mir am Yoga schon immer gefallen hat. Dadurch, dass der Fokus nicht rein auf körperlichen Übungen, sondern auch auf der Atmung liegt, entsteht in diesen Kursstunden oft ein Gefühl von Ruhe und Frieden. Natürlich wird man auch verbal dazu angeleitet, den Blick nach innen zu richten, aber ohne die richtige Atmung könnte das gar nicht funktionieren. Damit ist das Yoga nicht nur eine Auszeit, sondern auch eine praktische Anleitung für Alltag, in dem wir regelmäßig vergessen zu atmen. Bestimmt kennt jeder das Gefühl, wenn man aus Anspannung den Atem anhält oder nur sehr flach atmet. Ich merke an mir selbst, dass mir das Atmen an den Tagen mit Yoga-Start leichter fällt.
Als eine angenehme Abwechslung im Vergleich zum Kurs in meinem Yoga-Studio empfinde ich es auch, dass ich die Menschen auf der Matte nebenan kenne und schätze. Meine Kollegen haben das in ihren Antworten nicht ohne Grund erwähnt. Im Standard-Yoga-Kurs baut man vor allem ein Verhältnis zum Kursleiter auf, weil der normalerweise ja auch die einzige Person ist, die redet. Das ist während unserer Stunden zwar nicht anders, aber davor und danach ergeben sich auch untereinander Gespräche oder ein Lächeln. Es bestärkt ein Gemeinschaftsgefühl, das ohne Zwang auskommt. Wenn jemand mal nicht mag oder keine Zeit hat oder doch nicht aus dem Bett kommt, wird das nie negativ ausgelegt.
Kobra-Position mit Blick auf die Schwalben
Am allerschönsten ist das Yoga übrigens dann, wenn es warm genug ist, dass wir es auf dem Balkon unserer Agentur machen können. Dann weht oft eine leichte Brise und wir können in die Ferne oder direkt in den Himmel gucken. Und während ich mich verrenke, überlege ich jedes Mal, wie ich bisher ohne diese Erfahrung leben konnte.