Modi des Denkens

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Die Lösung unserer Probleme offenbart sich oft in Momenten der Entspannung. Das ist kein Zufall, sondern liegt an zwei grundlegenden Arten des Denkens, die unser Gehirn verwendet. Wer in seinem Arbeitsalltag mit Problemstellungen konfrontiert ist, für deren Lösung es innovative und kreative Erkenntnisse braucht, sollte sich die Denkweisen unseres Gehirns zunutze machen.

»Learning is often paradoxical. The very thing we need in order to learn impedes our ability to learn. We need to focus intently to be able to solve problems—yet that focus can also block us from accessing the fresh approach we may need.«

― Barbara Oakley1

Wir begegnen immer wieder neuartigen Aufgaben und Problemen, die nicht mit bestehenden Ideen, Herangehensweisen oder Konzepten gelöst werden können. Um bewusst neue und kreative Lösungen zu entwickeln, müssen wir uns aktiv mit dem Prozess des Denkens beschäftigen. Dabei ist unsere Fähigkeit zu Denken untrennbar mit der des Lernens verbunden. Doch wie denken wir eigentlich, und was heißt es, zu lernen? 

Eine Antwort auf diese Frage liefert Barbara Oakley in einem der populärsten Online-Kurse aller Zeiten. In »Learning How To Learn« beschreibt die sie das Konzept der fokussierten und diffusen Form des Denkens. Diese beiden Denkmodi sind grundlegende Funktionen des Gehirns, zwischen denen wir über den Tag hinweg wechseln. Dabei sind wir nicht in der Lage, beide Modi gleichzeitig zu verwenden.

Wir besitzen also zwei unterschiedliche Arten des Denkens. Doch was unterscheidet die beiden voneinander?

Fokussiertes Denken ist abhängig von bestehenden Nervenverbindungen und etablierten Denkmustern. Es kennzeichnet sich durch bewusste und konzentrierte Beschäftigung. In diesem Denkmodus befinden wir uns zum Beispiel, wenn wir bekannte Probleme lösen oder ein neues Konzept analysieren. 

In die diffuse Denkweise kommen wir, wenn wir entspannen und unseren Gedanken freien Lauf lassen. Wer mit Tagträumerei »beschäftigt« ist, befindet sich also im diffusen Modus. Dieser ermöglicht dem Unterbewusstsein, ungeplante Verbindungen zwischen neuen und vorhandenen Ideen herzustellen. Das ist die Grundlage für kreative und innovative Ideen. 

Effektives Denken und Lernen wird gefördert, wenn wir wiederholt zwischen fokussierter und diffuser Denkweise wechseln.

Was sind die Auswirkungen dieser Denkmuster in unserem Alltag?

Befassen wir uns über einen längeren Zeitraum fokussiert mit einer Thematik, kommt früher oder später der Zeitpunkt, an dem wir uns nach einer Pause sehnen. Diese Tendenz des Gehirns ist völlig natürlich. Sehen wir uns also mit einem neuen Problem konfrontiert, ist es sinnvoll, dieses zuerst rational und fokussiert zu erkunden. Danach sollten wir unserem Gehirn die Möglichkeit geben, sich zu entspannen. So kann unser Unterbewusstsein die neuen Informationen verarbeiten und in bestehendes Wissen integrieren. Das kann ein Spaziergang an der frischen Luft oder eine gemütliche Tasse Kaffee sein. modi-des-denkens-Contentbild 1Was passiert, wenn man Probleme auf diese Art und Weise angeht, ist in vielen Geschichten und Anekdoten festgehalten. So hatte Archimedes laut Vitrivius seine berühmte Eingebung in der Badewanne, einem Moment tiefer Entspannung.

Ein weiteres prominentes Beispiel findet sich bei Darwin, der den Einfall einer Problemlösung wie folgt beschreibt: »I can remember the very spot in the road, whilst in my carriage, when to my joy, the solution occurred to me (…).«2  Auch Hermann von Helmholtz, einer der einflussreichsten Naturwissenschaftler seiner Zeit, berichtet ähnlich über die Natur spontaner Einfälle, die ihm ohne Anstrengung kommen, gerade wenn er sich nicht am Arbeitsplatz befindet. 

Nicht nur Naturwissenschaftler sind sich dieser Thematik bewusst, auch berühmten Musikern ist sie nicht fremd. Beethoven schreibt: »Das Neue und Ursprüngliche wird aus sich selbst geboren, ohne daß man daran denkt.«
Eine umfangreiche Beschreibung der verschiedenen Denkprozesse liefert der britische Philosoph, Mathematiker und Logiker Bertrand Russel in seinem Buch »The Conquest of Happiness« von 1930. Darin beschreibt er seinen Glauben, dass sich bewusste Gedanken durch intensive Anstrengung in das Unbewusste einpflanzen lassen. Ein Prozess, der sich seiner Meinung nach bewusst herbeiführen lässt, und dazu führt, dass das Unbewusste dadurch nützliche Arbeit leisten kann. Russel beschreibt nicht nur die Funktion des Prozesses, sondern auch die Auswirkungen auf die Psyche. Die Entdeckung der Technik führte bei ihm nicht nur dazu, dass er nicht mehr besorgt war, keinen Fortschritt zu machen, sondern die Zeit nun für andere Bemühungen verwenden kann.

Was lernen wir daraus?

Neue und somit unvertraute Konzepte erschließen sich uns nicht einzig und allein durch fokussiertes Denken. Um zu interessanten, neuartigen und kreativen Erkenntnissen zu gelangen, müssen wir Dinge im Großen und Ganzen betrachten und die neuen Ideen im Nachgang mit bereits bestehenden verknüpfen.

Wie sich diese Erkenntnisse effektiv nutzen lassen, fasst der Investor und Unternehmer Naval Ravikant kurz und prägnant zusammen:

»Knowledge workers function like athletes - train and sprint, then rest and reassess.«  

»Knowledge Worker« sind all diejenigen, deren Hauptkapital Wissen ist und deren berufliche Tätigkeit hauptsächlich durch Denken geprägt ist. Um die Aufgaben im Beruf effektiv und effizient zu gestalten, sollten wir uns also die Erkenntnisse über die Denkmodi zunutze machen. Das heißt: wiederholt zwischen fokussierter und diffuser Denkweise wechseln. 

Wir haben gelernt, dass unser Gehirn selbst in vermeintlich inaktiven Phasen nicht ruht. Wer sich nach intensiver und fokussierter Arbeit nach einer kurzen Pause sehnt, sollte diesen Gedanken nicht ignorieren. Kurze Pausen wie ein Gang zur Kaffeemaschine, ein kurzer Spaziergang oder selbst der träumerische Blick aus dem Fenster sind kein unproduktiver Zeitvertreib, sondern Grundlage für diffuses Denken und somit effektives Lernen.

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Wie können Unternehmen dieses Wissen nutzen?

Unternehmen, deren Angestellte sich mit neuartigen Problemen und Aufgaben beschäftigen, gibt es genügend. Um die Entstehung von kreativen und innovativen Lösungen zu fördern, sollten Unternehmen verständlich kommunizieren, wie die verschiedenen Denkmodi funktionieren und welche Tätigkeiten diese hervorrufen und fördern.

Eine weitere Möglichkeit der Unterstützung besteht darin, Angestellten potenzielle Schuldgefühle zu nehmen, die sie mit Tätigkeiten verbinden, die den diffusen Modus triggern. Eine Kaffeepause, etwas Musik hören, Bewegung am Arbeitsplatz oder ein kurzer Gang an die frische Luft sind alles Aktivitäten, die sich nicht nach »Arbeit« anfühlen. Sie ermöglichen dem Gehirn aber eine hilfreiche »Pause«, um die Informationen zu verarbeiten und zu integrieren, die man im fokussierten Modus aufgenommen hat. 

Wenn Unternehmen dieses Wissen aktiv nutzen und ihren Angestellten die Freiräume ermöglichen, um Probleme und Aufgaben auch mal in »Pausen« zu lösen steht dem kreativen Erfolg nichts im Weg.

 

1 Barbara Oakley, A Mind for Numbers: How to Excel at Math and Science

2 Darwin Charles Darwin, Francis Darwin (1958). “Autobiography and Selected Letters”, p.43, Courier Corporation