Nachhaltigkeit. Das ist ein Wort, das heute überall verkauft wird. In der Werbung, im Supermarktregal, in Talkshows. Und spätestens seit den Fridays for Future Demos sind Begriff und Thema Dauergast im Bewusstsein der Bevölkerung. Ein nachhaltiges Leben zu führen, scheint ein neues, ein elftes Gebot zu sein. Vegan, sparsam, fair, plastikfrei, bio, regional und damit in jedem Fall ethisch vertretbar. Das ist alles super, klingt zumindest so. In einer Gesellschaft, die immer höher, schneller, weiter lebt, kann das aber auch ein Trugschluss sein. Was ist dran am elften Gebot und wie kann uns die Digitalisierung dabei helfen, nachhaltiger zu leben?
Unsere Gesellschaft befindet sich nicht nur in einem digitalen, sondern auch in einem ökologischen Wandel. Bei immer mehr Hunger nach Wachstum der globalen Industrie haben wir oft nicht mehr auf dem Schirm, wie wir unsere natürlichen Ressourcen seit der Industrialisierung im 18. Jahrhundert überstrapaziert haben und dies in Zukunft noch stärker tun werden. Die steigende Produktion von Kleidung, Essen, Autos und Smartphones, um unseren Konsumdurst zu stillen, ist nur ein Beispiel, das weitaus mehr Ressourcen einfordert, als langfristig verfügbar sind.
Der Preis des Wachstums
Immer höher und immer weiter – komme, was wolle – schließlich geht es hier ums Überleben, Arbeitsplätze, Geld und eine Vorreiter-Rolle in der jeweiligen Branche. Wachstum ist der Plan eines jeden Unternehmens. Aber um welchen Preis und woher etwas nehmen, wenn nichts mehr nachwächst? Wenn schon die sehr komplexe »Klimasache« noch nicht endgültig geklärt ist – Klimagegner und die Befürworter liefern sich hier noch ein Battle – die »Ressourcensache« ist es definitiv. Denn da gibt es irgendwann Probleme. Wachstum verbraucht eben leider immer Energie und Rohstoffe. Also woher nehmen? Die Lichtgeschwindigkeit macht uns bislang einen Strich durch die Rechnung, zu anderen erdähnlichen Planeten (wenn es sie denn gibt) fliegen zu können, und Jeff Bezos Pläne für die Ressourcennutzung des Weltraums liegen auch noch in weiter Ferne.
Es müsste gelingen, dass die Weltwirtschaft die reale Knappheit von Land, Atmosphäre, Ressourcen und Wasser abbildet. Dabei geht es nicht um ein Ende des Wachstums, sondern um einen radikalen Strukturwandel der Weltwirtschaft. Denn derzeit mogeln wir. Wir sind nicht bereit, die sozialen und ökologischen Konsequenzen unseres Handelns zu tragen. Damit Wirtschaftswachstum nicht wie bisher umweltschädliche Folgen hat, kommt es in reichen Ländern wie z. B. Deutschland auf ein hohes Innovationstempo an, um Wachstum und Naturzerstörung mithilfe neuer Technologien voneinander zu »entkoppeln«. Heißt, den Zielkonflikt zwischen Wachstum und Umweltschutz entweder vollständig oder zumindest teilweise aufzuheben.
Neben technischen Umweltinnovationen sind auch soziale Innovationen, die auf einen Wandel von Lebensstilen und Konsummustern abzielen, notwendig. Unternehmen und Politik sind hier gefragt, um den privaten Haushalten den Übergang zu umweltschonenderen Konsum- und Verhaltensweisen (z. B. beim Ernährungs- und Mobilitätsverhalten) zu erleichtern.
© Pawel Kuczynski
Ein anderes Denken
Vor allem sind es Menschen in den reichen Ländern mit all den Privilegien, die sie genießen, die gern hören wollen, dass alles bald wieder gut wird. Bis jetzt hat immer jemand eine Technologie entwickelt, die die Probleme in den Griff bekommt. Also warum etwas ändern, der Gang in den Bio-Supermarkt reicht doch schon für das gute Gefühl. Nur das allein ist eben nicht genug, um eine gute Öko-Performance zu erzielen. Wenn neben der Entwicklung besserer Technik, wie erneuerbaren Energien oder Ressourceneffizienz, auch verzichtet wird, dann wäre im Prinzip ein nachhaltiger Konsum möglich – das beruht aber auch auf Freiwilligkeit. Heißt: Man braucht Konsument*innen, die konsequenter handeln als sie es von sich behaupten. Leider stehen uns menschliche Emotionen wie Gewohnheit, Verdrängung, Bequemlichkeit und fehlende Dringlichkeitsgefühle bei räumlich oder zeitlich entfernten Problemlagen dabei im Weg.
Kurzum gesagt: Warum soll man freiwillig etwas aufgeben ohne direkt positive Konsequenzen zu bemerken? Das ist aber der Knackpunkt. Wie bekommt man die Menschen dazu, auf irgendwas zu verzichten? Anfangen könnte man durchaus mit Anreizen statt Verboten. Denn Verbote haben die Eigenschaft, dass jeder noch mehr zur Kasse gebeten wird. Konsumiert wird aber weiterhin, weil es irgendwann wieder als normal aufgefasst wird und niemand auf irgendetwas verzichten möchte. Ein Dilemma …
Die Last der Veränderung liegt allerdings nicht nur auf den Endkonsumenten. Es muss vielmehr eine gemeinsame Anstrengung der gesamten Gesellschaft sein. Die Ausrichtung der Unternehmen auf nachhaltiges Wirtschaften ist dabei ein ausschlaggebender Faktor. Alle, wirklich alle Wirtschaftsunternehmen müssen umdenken und handeln. Anstatt nur auf kurzfristige Quartalsergebnisse und Jahresabschlüsse zu setzen, müssen sie die langfristigen Ergebnisse ihres Wirtschaftens und dessen Einfluss auf Mensch und Natur gründlich überdenken.
© Pawel Kuczynski
Nachhaltigkeit durch Digitalisierung
Digitale Lösungen, die ohne Materialeinsatz entstehen, können physische Lösungen ersetzen – indem, banal gesagt, z. B. nicht mehr gedruckt wird. Die Möglichkeit, existierende Strukturen durch digitale Lösungen zu optimieren – wie durch intelligente Verkehrsleitsysteme oder den sparsamen Einsatz von Ressourcen im Rahmen der Kreislaufwirtschaft –, sollte in Betracht gezogen werden. Es geht darum, das Problem begrenzter Ressourcen, das durch steigende Bevölkerungszahlen und zunehmenden Konsum verschärft wird, zu lösen.
Durch Informations- und Datenmanagement auf Basis vernetzter Kommunikation können Hersteller untereinander überschüssige Materialien identifizieren und anschließend austauschen. Das höchste Ziel nennt sich »Zero Waste« – Produktion ohne Abfälle. Abfallende Materialien bei der Produktion werden an andere Firmen weiterverkauft, die neue Produkte daraus herstellen.
Obacht vorm Rebound-Effekt
Die digitale Revolution verspricht uns weniger Papier, mehr Effizienz, schlankere Prozesse und schnellen Informationsaustausch. Dennoch sollte man auch trotz aller Begeisterung einen zweiten Blick darauf werfen. Denn ganz so ressourcenschonend ist die Digitalisierung dann doch nicht, sondern regt den gesellschaftlichen Stoffwechsel in einer Weise neu an, die die globale Energie- und Ressourcennachfrage ebenso belastet.
Man spricht hier auch vom Rebound-Effekt. Man versucht in erster Linie, die Endnutzer-Geräte kleiner, leichter und effizienter zu machen, um mit weniger Materialeinsatz auszukommen. Letztendlich ist aber die Herstellung kompakterer, leistungsstärkerer Technologien manchmal sogar noch ressourcenintensiver. Außerdem nimmt die Anzahl der Endnutzer-Geräte wie z. B. Smartphones stetig zu. Dank des Internets und der digitalen Dienste ist es einfach, eins zu bestellen und schnell geliefert zu bekommen. Noch dazu kommt, dass viele digitale Dienste unbegrenzten Konsum eröffnen. Letztendlich werden die Effizienzgewinne mehr als wettgemacht durch den gestiegenen Konsum, den die digitalen Services und damit gesunkenen Preise anregen.
Neben der Ressourcennachfrage in der Herstellung umfassen diese Rebounds auch den verwendeten Strom für den Einsatz. Je effizienter wir digitalisiert arbeiten, desto mehr setzen wir auf eine wachsende Infrastruktur und auf Energie. Der Energieverbrauch des Internets ist inzwischen enorm und wird stetig steigen. Streaming – die Nutzung von Diensten wie YouTube, Netflix oder Spotify – trägt als größter Faktor zu diesem stetigen Energieverbrauch bei. Auch die Datenmengen von Milliarden smarter Geräte, die gleichzeitig senden und empfangen, werden sich weiterhin erhöhen. Zusammengefasst: Auf der einen Seite möchte man sich das Leben durch Digitalisierung so einfach wie möglich machen, auf der anderen Seite schafft man damit einen Kreislauf, der eventuell nicht mehr zu stoppen ist.