Ein großer Teil unserer digitalisierten Gesellschaft hat inzwischen erkannt, dass sich im Schatten der ständigen Vernetztheit immense Risiken für die psychische Gesundheit verbergen. Wie sich vor allem die Nutzung sozialer Medien auf unsere Psyche auswirken kann, habe ich bereits in einem anderen Blogartikel erklärt. Es gibt eine Vielzahl nützlicher Tools, die uns dabei helfen, Screentime im Allgemeinen oder App-Nutzung im Speziellen zu mäßigen – doch oft können wir diese nur in unserer Freizeit nutzen, da wir im Job auf Online-Medien angewiesen sind.
Besonders in der digitalen Werbebranche haben wir oft gar keine andere Möglichkeit, als den ganzen Arbeitstag am Computer zu verbringen: Social Media, Websites und die ganze Klaviatur digitaler Kommunikationswege sind ein fest implementierter Bereich unseres Schaffens. Ich beleuchte in diesem Beitrag, wie wir auch ohne digital detox im Berufsleben besser auf unsere psychische Gesundheit achten, welche Faktoren dabei eine Rolle spielen und was Arbeitgeber dafür tun sollten.
Welche Aspekte spielen im Berufsleben eine Rolle für mental health?
Am 10. Oktober jeden Jahres findet der World Mental Health Day statt. An diesem Tag wird rund um den Globus über psychische Gesundheit aufgeklärt, um dem Thema sein Stigma zu nehmen. Dabei steht jedes Mal ein anderes Thema im Fokus – 2017 war es die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz. Aus dem Informationsblatt der World Health Organization (WHO) lassen sich u. a. die folgenden arbeitsbezogenen Auslöser für psychische Krankheiten entnehmen:
- unzureichende Gesundheits- und Sicherheitsrichtlinien
- schlechte Kommunikations- und Managementpraktiken
- eingeschränkte Beteiligung an Entscheidungsprozessen oder geringe Kontrolle über den eigenen Arbeitsbereich
- wenig Unterstützung für die Mitarbeiter
- unflexible Arbeitszeiten
- unklare Aufgabenstellungen oder organisatorische Ziele
- ungeeignete Aufgaben für die Kompetenzen der Person
- zu große Arbeitsbelastung
- Umgebungsfaktoren wie Lärm, Beleuchtung und Klima
- Mangel an Teamzusammenhalt
- Mobbing
Das Auftreten eines oder mehrerer Auslöser dieser Liste in einem Unternehmen bedeutet allerdings nicht automatisch, dass die Mitarbeiter der Reihe nach erkranken. Und entgegen dem leider immer noch weit verbreiteten Irrglauben, hat eine psychische Erkrankung niemals etwas mit charakterlicher Schwäche zu tun. Vielmehr sind manche Menschen mit besserer Resilienz ausgestattet als andere. Die Seele resilienter Menschen ist einfach widerstandsfähiger; sie gehen anders mit Krisen und Rückschlägen um.
Dieses Mindset ist nicht angeboren, sondern wird im Laufe der Entwicklung erlernt – das kann man in jedem Alter nachholen oder noch weiter trainieren. Unsere sozialen Umstände während der Kindheit sind also maßgeblich für das »Immunsystem unserer Psyche« und haben starken Einfluss darauf, ob wir später im Leben einmal psychisch erkranken.
Trotzdem lassen sich die tatsächlichen Auslöser für eine psychische Erkrankung nicht generalisieren – wir sind eben alle Individuen, die unterschiedlich auf die Umwelt und persönliche Erfahrungen reagieren. Daher gibt es leider kein Patentrezept für ein Leben ohne mental health Probleme. Es kann aber sicher nicht schaden, die eigene Resilienz mit gezielten Übungen zu stärken.
Warum ist das Thema mental health für Arbeitgeber relevant?
Psychische Erkrankungen sind wie jede andere Krankheit kein Ballast, den die Betroffenen ausschließlich in ihrer Freizeit mit sich herumtragen. Sie halten sich nicht an die Bürozeiten und lassen uns »nine to five« Top-Leistungen abliefern, weil Vorgesetzte das nun mal so erwarten. Ganz im Gegenteil: Wer mit Burn-Out, Depressionen oder Angstzuständen zu kämpfen hat, verliert bestenfalls an Konzentrationsfähigkeit und Effizienz. Im schlimmsten Fall (und dieser ist alles andere als selten) lähmen diese Erkrankungen den Geist und schließlich auch den Körper so sehr, dass der Betroffene arbeitsunfähig wird. Das führt nicht nur zu Fehlzeiten, die Wochen bis Jahre dauern können, sondern auch zu frühzeitigen Renteneintritten.
Der BKK Gesundheitsreport 2018 kommt diesbezüglich zu erschreckenden Erkenntnissen:
- 16,6 % aller Fehltage haben psychische Gründe.
- Die durchschnittliche Krankheitsdauer psychischer Erkrankungen sind knapp 39 Tage. (zum Vergleich: bei Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems sind es im Schnitt knapp 20 Tage, bei Krankheiten des Atmungssystems nicht einmal 7 Tage).
- Zu den wichtigsten Diagnosen gehören unter anderem depressive Episoden, Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen sowie das Burn-Out-Syndrom.
Man muss kein Raketenwissenschaftler sein, um auszurechnen, dass für Arbeitgeber finanzielle Verluste entstehen, wenn Mitarbeiter viele Fehltage sammeln. Aber wirklich greifbar ist die Höhe der Verluste nicht.
Zum Glück gibt es die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA): Sie schätzt jährlich die volkswirtschaftlichen Produktionsausfälle durch Arbeitsunfähigkeit. Für das Jahr 2017 rechnete die Bundesanstalt mit 16,7 AU-Tagen pro Arbeitnehmer und errechnete Produktionsausfälle in Höhe von ca. 76 Milliarden Euro und einen Ausfall an Bruttowertschöpfung von 136 Milliarden Euro.
Diese Schätzungen lassen sich zwar nicht konkret auf die Ausfälle auf Grund psychischer Krankheiten herunterbrechen, geben aber immerhin ein grobes Gefühl, warum Unternehmen in ihrem eigenen Sinne präventive Maßnahmen ergreifen sollten.
Zwar kosten auch diese Maßnahmen Geld, jedoch hat die WHO bereits im Jahr 2016 eine Studie zum Kosten-Nutzen-Verhältnis von Maßnahmen zur Verbesserung der psychischen Gesundheit durchgeführt (kostenlose Anmeldung erforderlich, um die Studie einsehen zu können). Das Ergebnis: Jeder ausgegebene Dollar bringt mindestens vier Dollar als return on investment – in Form von erhöhter Produktivität und Gesundheit. Es lohnt sich also, in Gesundheit zu investieren!
Was regelt der Gesetzgeber in Bezug auf psychische Gesundheit am Arbeitsplatz?
Jeder, der schon einmal eine Unterweisung zur Arbeitssicherheit hatte, weiß, worauf er im Arbeitsalltag zu achten hat, um unbeschadet wieder zuhause anzukommen – zum Beispiel nicht mit hochhackigen Sandalen auf Leitern steigen. Und wen schon mal der Betriebsarzt besucht hat, der weiß, wie man rückenfreundlich am Schreibtisch sitzt und dass stundenlanges Starren auf riesige, helle Bildschirme unsere Augen extrem belastet.
All diese Maßnahmen passieren nicht (nur) aus gesundem Menschenversand oder reiner Güte: Sie sind im Arbeitsschutzgesetz festgelegt. Aufgrund dieses juristischen Dokuments gibt es zum Beispiel in jedem Unternehmen Sicherheitsbeauftragte, Ersthelfer und Brandschutzhelfer. Doch stehen darin auch Vorgaben zur psychischen Gesundheit?
Die Antwort ist ein klares Ja.
Gemäß § 5 ArbSchG sind alle Arbeitgeber dazu verpflichtet, eine psychische Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Das heißt: Der Arbeitgeber muss herausfinden, welche potenziellen psychischen Belastungen sich für Arbeitnehmer durch die Arbeit im Unternehmen ergeben. Genauere Richtlinien für diese Beurteilung gibt es nicht, sodass je nach örtlichen Gegebenheiten und je nach fachkundigen Personen verschiedene Zuständigkeiten und Vorgehensweisen möglich sind. Das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung, die festgelegten Arbeitsschutzmaßnahmen und das Ergebnis der Überprüfung müssen laut § 6 vom Arbeitgeber dokumentiert werden.
Klingt ganz schön kompliziert, finde ich. Und damit bin ich sicher nicht allein.
Deshalb hat das Arbeitsprogramm Psyche der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) eine Broschüre für Arbeitgeber zusammengestellt, die bei der Umsetzung der Beurteilung helfen sollen. Darin steht neben Empfehlungen zum Vorgehen auch einiges an Hintergrundwissen zum Thema psychische Belastungen am Arbeitsplatz.
Und wenn ein Unternehmen die Paragraphen im Arbeitsschutzgesetz einfach nicht einhält? Dann kann die Landesbehörde für Arbeitssicherheit auf die Pflichtverletzung aufmerksam machen. Erst wenn nach abgelaufener Frist keine Nachbesserung erfolgt, kann ein Bußgeld verhängt werden. Mehr haben Arbeitgeber in Deutschland allerdings nicht zu befürchten – schade eigentlich.
Was können Arbeitgeber präventiv unternehmen?
Zunächst gilt es, den gesamten Themenbereich der psychischen Krankheiten zu destigmatisieren. Falsche Informationen, Vorurteile und Diskriminierung verschlimmern die Situation für Betroffene noch weiter – so auch die Angst davor, wie der Arbeitgeber reagiert, wenn er von der Krankheit erfährt. Der erste Schritt zu einem gesunden Arbeitsklima sollte es in diesem Zusammenhang also sein, einen offenen und wertschätzenden Dialog über den mentalen Zustand der Mitarbeiter führen zu können. Ziel ist es, zu vermitteln, dass der Arbeitgeber Verständnis und Hilfe für Betroffene bietet.
Siemens z. B. hat zu diesem Zweck einen versierten Betriebspsychologen, der sich dem Thema verschrieben und auch schon beeindruckende Erfolge in der Verbesserung der Unternehmenskultur und der Schulung von Führungskräften auf das Thema mental health vorzuweisen hat.
Step 1: Unzufriedenheits-Quellen analysieren
Allgemein sollte genau dort angesetzt werden, wo bei den Mitarbeitern Unzufriedenheit ausgelöst wird. Und das ist von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Es gibt neben der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung noch weitere Möglichkeiten, um Unzufriedenheits-Quellen zu identifizieren:
- Fehlzeitenanalyse: Hierbei wird erfasst, welche Beschäftigten wann, wie lange und wie oft berufsunfähig sind. Diese Daten werden mit Benchmarks aus Analysen vergleichbarer Branchen und den Daten der Krankenkassen vernetzt, um Auffälligkeiten zu erkennen. Die Analyse gibt allerdings keinen Aufschluss über Ursachen der Abwesenheit.
- Mitarbeiterbefragung: Diese kann schriftlich oder elektronisch stattfinden. Das kann zwar je nach Betriebsgröße sehr aufwändig sein, zeigt mögliche Optimierungsfelder jedoch individuell für das eigene Unternehmen auf und kann sogar die Unternehmenskultur verbessern.
- Gesundheitszirkel: Dabei handelt es sich um interne Workshops, in denen nicht nur Problemquellen identifiziert, sondern auch gleich mögliche Lösungsansätze gefunden werden. Und zwar gemeinsam mit den Mitarbeitern, wodurch die Akzeptanz der Veränderungen automatisch höher ist, als wenn diese von Führungskräften auferlegt werden.
Step 2: Auf Basis der Analyse Maßnahmen ergreifen
Je nachdem, welche Ergebnisse die Analysen hervorbringen, können die Lösungen variieren. Hier jedoch einige Beispiele für mögliche Maßnahmen zur Reduzierung der psychischen Belastung im Betrieb, unter anderem von BDA, WHO und psyGA:
- Gesundheits- und Sicherheitsrichtlinien und -praktiken umsetzen (z. B. Identifizierung psychischer Lasten und Sorgen)
- Mitarbeiter in die Entscheidungsfindung einbeziehen – dadurch wird ein Gefühl der Kontrolle und Beteiligung vermittelt
- Eine gesunde Work-Life-Balance unterstützen
- Programme zur beruflichen Weiterentwicklung der Arbeitnehmer einführen
- Arbeitsleistung der Mitarbeiter wertschätzen und belohnen
- Feel Good Manager und/oder Betriebspsychologen einsetzen
- Sozialberatung anbieten, wie z. B. Hilfe zur Konfliktbewältigung
- Kurse zum richtigen Umgang mit Stress, Zeit- und Selbstmanagement abhalten
- Gesundheitsgerechte Unternehmenskultur schaffen, z. B. durch optimale Aufgabenorganisation oder mitarbeiterorientierte Führung
- Diversität in Bezug auf Geschlecht, Alter, Herkunft, Religion und Kultur fördern und wertschätzen
- Sofort intervenieren, wenn Grenzen überschritten werden – egal, ob Ausgrenzung, Beleidigung, Diskriminierung oder sexuelle Belästigung
Genug Theorie, wie sieht's in der Praxis aus?
Ich weiß, das sagt sich alles leicht. Aber wie sieht die Umsetzung solcher Maßnahmen konkret aus? Und welche Ergebnisse erwarten Unternehmen tatsächlich? Um diese Fragen zu beantworten, trägt die Initiative Neue Qualität der Arbeit regelmäßig die aktuellen Top 100 Impulse aus der Praxis deutscher Unternehmen zusammen. Hier können Arbeitgeber von einer Sammlung an Use Cases profitieren, die jeweils den individuellen Weg über Analyse, Zielsetzung, Maßnahmen und Ergebnis beschreiben. So unterschiedlich diese Cases auch sein mögen, umso inspirierender sind sie – meine klare Leseempfehlung für den Feierabend.