Man kennt das ja.
Wer kennt es nicht: Egal in welchem Tätigkeitsfeld ein Job ausgeführt wird; grundsätzlich hat jeder zu wenig Zeit und zu viel zu tun. »Hej, hast du mal kurz fünf Minuten für mich?« - und du stirbst den stillen Tod der Überforderten, bevor du mit gequältem Lächeln »Jaaaha, klaaar!« hervorwürgst. Nett und hilfsbereit möchte man ja dann doch noch bleiben, auch wenn es die Zeit eigentlich gar nicht zulässt. Ich möchte an dieser Stelle die Zeit nutzen, um einen kurzen Abriss darüber abzubilden, wie sehr wir uns im Alltag von der Zeit fremdsteuern lassen.
Jeder von uns versucht dem persönlichen Zeitmangel mit dem ein oder anderen Mittelchen entgegenzuwirken, klassischerweise in Form einer To-do-Liste. Denn anders können die vielen verschiedenen Aufgaben und Termine kaum mehr bewältigt werden, »wenn ich mir nicht alles notiere…«. Das lässt sich im Übrigen auch wunderbar andersrum durchführen: »Was? Wir hatten einen Termin? Sorry, den hab ich mir gar nicht aufgeschrieben…« - aus den Augen, aus dem Sinn.
So ist das nunmal. Der Mensch wird täglich, stündlich, minütlich mit so vielen Impulsen befeuert, dass er den Überblick verliert. Und ich weiß wovon ich spreche, denn ich bin Projektmanagerin, Vollblut. Ich manage alles. Mein Frühstück, meine Schlafenszeit, den nächsten Urlaub, den Job, welches Essen an welchem Tag auf den Tisch kommt. OK, man kann es auch übertreiben, aber weiter im Text: Du beginnst also mit deiner To-do-Liste und füllst sie mit deinen aktuellen Themen. Neue Tasks, die auf deinem Tisch landen, notierst du einfach unten drunter, sodass du schon bald ein zweites Blatt Papier anfangen musst, bis die Liste letztendlich überquillt und du gerade noch den letzten Weißraum zwischen deinen schnell hingeschmierten und morgen schon nicht mehr les- geschweige denn interpretierbaren Stichpunkten ausgefüllt hast. Und plötzlich ist es 18 Uhr und du schaust auf die beschriebenen Seiten und fragst dich: »Ganz toll. Was hab ich heute eigentlich den ganzen Tag gemacht?« Herrschaften: Herzlich willkommen im Hamsterrad.
Ich habe ein Monster geschaffen.
Ich weiß, es ist so anstrengend: Du hakst eine Checkbox ab oder streichst etwas durch, darunter häufen sich aber wieder fünfundzwanzig neue Dinge, die es zu erledigen gilt. Und es nimmt einfach kein Ende. Ob es sich nun um einen überquellenden Posteingang, eine Listen-App wie OneNote oder um ein Blatt Papier handelt - der Effekt ist überall gleich. Und, sind wir mal ehrlich zu einander: Hinten fällt immer irgendetwas runter. Selbst, wenn man noch so gewissenhaft ist; mit dem nächsten unerwarteten Telefonat oder dem anstehenden Meeting, das schon wieder viel zu schnell da war, Messebesuchen etc. wird die Liste einfach niemals kürzer.
Das Problem an der ganzen Sache scheint also das unkontrollierbare Wachstum der Listen zu sein. Einfach keine neuen Aufträge mehr annehmen, bis die Liste abgearbeitet ist? Eher schlecht.
- To-do-Listen haben keine Struktur.
- To-do-Listen enthalten keine Priorisierung.
- To-do-Listen haben keine Zeitachse.
- To-do-Listen sind grenzenlos.
- To-do-Listen erfordern kein Mitdenken.
Maßlosigkeit macht krank.
»Trink nicht zu viel Alkohol!« oder »Ich möchte jetzt eine Zeit lang auf Süßigkeiten verzichten.« sind Aussagen, die wir gewohnt sind und deren Sinnhaftigkeit uns einleuchtet. Wir haben also in gewissen Lebensbereichen einen Sinn für Maß und Maßlosigkeit entwickelt. Aber wie steht es um die Maßlosigkeit unserer To-do-Listen? Statista hat kürzlich eine Studie mit Berufstätigen veröffentlicht, die unter starken Schlafproblemen leiden. Dabei hat sich herausgestellt, dass von diesen Befragten ganze 13,6% ihre Schlaflosigkeit mit körperlichen Schmerzen oder etwa Lärmbelästigung begründen. Und jetzt kommt der Knaller: Fast 40% der restlichen Befragten (und damit die größte Gruppe der Studie) geben an, dass ihre Schlafstörungen aus Stress, seelischer Belastung, Sorgen und Ängsten sowie spätem Arbeiten (spät bedeutet hier: nach 20 Uhr) resultieren. Besorgniserregend daran ist für mich ganz besonders, dass wir uns doch alle täglich gegenseitig unser Leid vom stressigen Alltag klagen. Wenn ich so darüber nachdenke, wie oft ich die Phrase »Zur Zeit ist es etwas stressig« verwende, möchte ich nicht wissen, was genau die oben genannten 40% zu ihrer Antwort bewogen hat. Was ich aber durchaus wissen möchte: Was bewegt mich eigentlich dazu, meinen Tag als stressig zu empfinden? Prof. Dr. Gerald Hüter leitet die Zentralstelle für Neurobiologische Präventionsforschung der Universitäten Göttingen und Mannheim/Heidelberg - und erklärt, was im Körper passiert, wenn ich in Stress gerate: »Zunächst nimmt ein Mensch die Kluft zwischen den eigenen Erwartungen und der Realität wahr. Dabei entsteht eine unspezifische Erregung im Frontalhirn, wo die Erwartungshaltungen verankert sind. Diese Unruhe versucht er in Einklang zu bringen. Das führt schnell dazu, dass sich der Körper in Alarmbereitschaft versetzt. Das Herz schlägt schneller, der Blutdruck steigt. Meist schafft man es so, die Energie aufzubringen, um die Situation zu bewältigen.«
Hm! Das klingt mir sehr danach, dass ich meinen eigenen kleinen, subjektiven Teil dazu beitragen kann, solche Situationen in Zukunft für mich zu reduzieren, indem ich versuche, diese beschriebene Kluft in so etwas wie einen Spalt zu transformieren. Mein erster Schritt war die Optimierung meines täglichen Aufgabenpools. Welchen Ansatz ich hier als besonders wertvoll empfinde und was ich jedem nur ans Herz legen kann, der ebenfalls mit seinem persönlichen Listenwahn zu kämpfen hat, nennt sich Bullet Journal.
Wie mich mein Bullet Journal produktiver macht.
Wenn man eine neue Entscheidung trifft, dann steckt meistens auch ein übergeordnetes Ziel dahinter. Wenn ich selbst weniger Stress produzieren möchte, was will ich denn stattdessen eigentlich? Ich möchte produktiv und effizient arbeiten; das wäre zumindest förderlich für meinen Beruf, denn sonst werde ich kurz- bis mittelfristig ein kleines Organisationsproblem haben. Und bei meiner Recherche bin ich auf einen Trend gestoßen, für den ich als Tintenjunkie sehr anfällig war. Der BuJo-Guru Ryder Carroll hat gar nicht so unrecht mit seinem eigentlich ganz simplen, aber cleveren Konzept. Seine Vision besteht aus drei einfachen und kreativen Konstanten:
- Track the past
- Order the present
- Design the future
Track the past. Das bedeutet, auf dem einfachsten Wege, nämlich nur mit Stift und Papier, eine Art Backlog aller Themen anzulegen, die mich beschäftigen. Dabei müssen Arbeits- und Privatleben nicht zwingend getrennt werden, denn letztendlich finden meine Gedanken alle in einem einzigen Kopf statt - warum also verschiedene Listen in verschiedenen Büchern führen? Das Backlog funktioniert im Prinzip wie das Werkzeug, das man aus dem agilen Projektmanagement kennt: ein Backlog kann man zum Beispiel wöchentlich anlegen. Alles, was also entweder von der Vorwoche übrig geblieben ist oder was in der aktuellen Woche an neuen Tanks reinkommt, nehme ich in mein Backlog auf.
Sieht dann in etwa so aus wie diese grausige To-do-Liste, vor der ich eigentlich fliehen wollte.
Order the present. Aus dem endlosen Backlog, und das war meine damalige To-do-Liste, werden mit Hilfe eines Prioritäten-Systems verschiedene Aufgaben auf die aktuelle oder anstehende Woche und deren einzelne Tage verteilt. Wenn ich mir buchstäblich vor Augen führe, dass ich mein Backlog nicht an einem einzigen Tag erledigen muss, sondern dass manche Dinge auch einfach mal warten können, geht es mir schon viel besser. Ein netter Nebeneffekt dieses Vorgehens ist, dass man aktiv über alle notierten Punkte nachdenkt und dabei an einigen Stellen zu dem Schluss kommt, dass die To-dos binnen fünf Minuten erledigt werden können - oder schlichtweg unnötig sind. Weniger Panik, mehr System und Produktivität. Die Priorisierung kann ganz einfach in Form eines Kreuzchens symbolisiert werden. Ich kreuze alle Punkte an, die ich in der aktuellen Woche auf meine Arbeitstage verteilen möchte und weise sie in diesem Aufwasch gleich einem fixen Tag zu. Damit vermeide ich, dass ich mich täglich vom Fluss des Tagesgeschäftes mitreißen lasse, sondern stelle mir ganz bewusst einen Felsen mit einem statischen Aufgabenblock in mein Flussbett. Und der Felsen steht - weil er’s kann. Auch wenn ich im ersten Moment noch nicht so recht daran glauben konnte. Und diese Fixpunkte integriere ich anschließend in meine täglichen Aufgabenlisten. So bleibt jeden Tag noch ausreichend Platz für das Daily Business, aber ein bestimmter Anteil des Tages ist für meinen Backlog reserviert.
Das Backlog wird nach Prioritäten auf die einzelnen Arbeitstage verteilt.
Design the future. Das ist dann der Part für Fortgeschrittene. Carrolls Vision nach, sollten alle notierten und aufgeteilten To-dos in einem größeren Ganzen münden. Übergreifende Ziele, positive Veränderungen, optimierte Verhaltensweisen. Hier kommt eigentlich der Part ins Spiel, in dem man seine Lebenswelten nicht mehr separiert, sondern schwarz auf weiß eine Balance schafft zwischen Arbeits- und Privatleben. Wer Pinterest nutzt, veranschaulicht sich das am besten selbst, indem er den Suchbegriff »Bullet Journal« einmal abfeuert. Schnell wird erkennbar: Ein Bullet Journal eignet sich nicht nur für das Nachhalten der eigenen To-dos. Auch die Verknüpfung mit privaten Interessen, Literatur, Lebenszielen (und Schmuckelementen für die ganz Verrückten unter uns) finden hier ihren Platz. Und das (fast) Beste: Man hat einfach immer alles dabei.
Ich empfehle jedem, der an irgendeiner Stelle dieses Textes still in sich hinein geschmunzelt hat, sich ertappt gefühlt hat und morgen wieder mit »Jaaaahaa... klaaaar!« im Büro aufkreuzen wird, sich proaktiv hinzustellen und zu sagen: Nein, ich bin kein Hamster. Und einfach mal aufhören zu rennen und zu rennen und zu rennen …