Frauen sind anders, Männer auch. Soweit nichts Neues. Auch, dass sich die beiden Geschlechter im Einkaufsverhalten unterscheiden, dürfte die wenigsten überraschen. In Bezug auf den Einkauf vor Ort hat sich die Formel »Männer kaufen, Frauen shoppen« herumgesprochen: Während Männer – gemäß ihrem Klischee – lieber schnell und gezielt einkaufen, lassen sich Frauen gern Zeit für ihre Kaufentscheidung, um diese möglichst ausgewogen zu treffen.
Da es immer mehr Menschen gibt, die ihre Einkäufe im Internet tätigen, soll es in diesem Artikel vor allem um sie gehen. Die Zahl der Internetnutzer*innen nimmt seit Jahren stetig zu und der beliebteste Online-Shop in Deutschland ist – natürlich – Amazon. Viele Erkenntnisse, die man im stationären Handel über das Kaufverhalten von Männern und Frauen gewinnen konnte, lassen sich aber nicht eins zu eins in den E-Commerce-Bereich übertragen.
Quelle: Statista.com | Zahl der Internetnutzer*innen
Unterschiede zwischen den Geschlechtern
Am Anfang steht natürlich die Frage: Gibt es hier überhaupt Unterschiede? Sollte das Internet nicht gleiche Verhältnisse und Möglichkeiten für alle schaffen, unabhängig von Herkunft oder Geschlecht?
Ja, es gibt Unterschiede. Denn die visuelle Wahrnehmung von Frauen und Männern unterscheidet sich nach ersten Studien, außerdem spielt das erlernte Verhalten auch online eine Rolle. Das Konzept, nach dem man diese Unterschiede analysiert und berücksichtigt, nennt sich Gender Commerce. Konkret kam eine Masterarbeit zu geschlechtsspezifischen Unterschieden im Online-Kaufverhalten von 2016 zu folgenden Erkenntnissen:
- Vertrauensfördernde Elemente wie Gütesiegel haben bei Frauen einen stärkeren Einfluss als bei Männern.
- Bei männlichen Kunden können Online-Shops mit ausführlichen Produktbeschreibungen und Kundenbewertungen punkten.
- Frauen lösen häufiger Gutscheincodes ein.
In weiteren Artikeln ist die Rede davon, dass Frauen sich auf Subjekte, nicht Objekte, konzentrieren und damit eine Produktdarstellung im Kontext mit Menschen besser finden als das freigestellte Produkt. Außerdem wägen sie u.U. ihre Kaufentscheidung länger ab und profitieren davon, wenn ihre Artikel auch eine Woche später noch im Warenkorb liegen.
Ein wichtiger Aspekt bei all diesen vermeintlichen Fakten des Gender Commerce ist, genau hinzusehen: Viele Berichte, die diese Gender Gap im Einkaufsverhalten schildern, beziehen sich auf stationäre Käufe oder auf bestimmte Teilbereiche des E-Commerce. Einen umfassenden Blickwinkel haben die wenigsten Studien.
Quelle: Statista.com | Beliebteste Online-Shops
Und selbst?
Jetzt kann man analysieren, ob die eigene Website eher beschreibungslastig (= männerzentriert) oder inspirativ (= frauenorientiert) aufgebaut ist. Wenn sie sehr stark einer der beiden Richtungen zuzuordnen ist, sollte man überlegen, ob man wirklich eine derart homogene Zielgruppe hat. In allen anderen Fällen dürfte eine geschlechtsneutrale Darstellung eine gute Wahl sein. Denn bei aller Zielgruppenfokussierung ist es wichtig, den Nicht-Zielgruppen nicht das Gefühl zu vermitteln, ausgeschlossen zu sein. Sonst landet man wieder beim Gender Marketing und zementiert traditionelle Geschlechterzuweisungen, so dass sich kein Mädchen mehr einen Spielzeugbagger zum Geburtstag wünschen mag. (So ist es zumindest in der Praxis überwiegend der Fall. Laut Theorie können beim Gender Marketing »durchaus neue Entwicklungen und Geschlechterentwürfe berücksichtigt« werden – aber das ist ein anderes Thema.)
Ist Gender Commerce der neue Heilige Gral?
Gender Commerce ist also nicht zwangsläufig ein Aspekt, den man um jeden Preis umsetzen muss – viel elementarer ist eine prinzipiell gut funktionierende Usability. Eine gelungene User Experience fokussiert sich nicht nur auf das Geschlecht der Nutzer*innen, sondern schafft ein ganzheitliches Nutzungserlebnis.
Denn egal, ob es um weiblich besetzte Gütesiegel oder um männlich konnotierte Produktbeschreibungen geht: Im Grunde macht beides Sinn. Es ist absolut vernünftig, die Kund*innen detailliert über das Produkt zu informieren, und ebenso vernünftig, ihr Vertrauen zu stärken, indem man unabhängige Quellen zitiert. Viel wichtiger ist es meiner Meinung nach, keine Zielgruppe auszuschließen, indem man beispielsweise auf übertrieben geschlechtlich konnotierte Farbwelten setzt. Selbst wenn die Kernzielgruppe das eine Geschlecht ist, werden Geschenke oft geschlechterübergreifend gekauft. Gelegentlich werden Produkte des anderen Geschlechts sogar selbst verwendet. Und allzu plump möchten schließlich die wenigsten Nutzer*innen von einem Produkt oder einer Dienstleistung überzeugt werden.