Es kann sehr motivierend sein, in einer Agentur zu arbeiten – für jede noch so verrückte Idee haben die Kolleg:innen ein offenes Ohr. Sollte ich Hilfe bei Design, Fotografie, Text, was auch immer benötigen, kann ich fast sicher sein, dass sich irgendeine Person mit dem Thema auskennt. Oder sogar schon Expert:in darin ist. Denn das ist die Kehrseite der Medaille: Ich fühle mich mitunter sehr durchschnittlich. Fast jede:r Kolleg:in macht coole Projekte nebenher, setzt zum Beispiel fancy Websites um, bastelt geniale Filme oder betätigt sich als waschechte:r Künstler:in. Es ist faszinierend, wie viel kreatives Potenzial in den Menschen um einen herum steckt. Trotzdem kommen wir manchmal nicht umhin, uns selbst zu fragen: Was macht mich aus? Was kann ich wirklich gut?
Ich für meinen Teil sehe mich als Allrounderin. Das ist in einigen Bereichen notwendig oder mindestens hilfreich, weil Aufgaben mit einem Grundverständnis der angrenzenden Bereiche häufig besser umzusetzen sind. Beispielsweise helfen SEO-Grundlagen zu verstehen, warum Alt-Texte bei Bildern so wichtig sind, obwohl diese bei der Pflege neuer Bilder im Content Management System viel Zeit fressen können. Nichtsdestotrotz hat jede:r sein Fachgebiet, seine Spezialisierung. Das ist wichtig, schon allein, um zu definieren, wer wofür zuständig ist.
Gelegentlich neige ich dazu, mich zu verzetteln und den Fokus zu verlieren. Hier mal einen Social-Media-Online-Kurs angucken, dort mal ein Fotografie-Tutorial studieren – ach und hier gibt es doch auch noch den spannenden Strategieartikel! Das ist super für die Allgemeinbildung, aber es kann auch wirklich anstrengend sein, in allen Themengebieten gleichzeitig auf dem Laufenden zu bleiben. Mir hilft es, mir bewusst zu machen, worin ich wirklich gut bin – und worin nicht. Aber wie können wir das herausfinden?
Worin bin ich gut?
Bei Soft Skills oder allgemeineren Fähigkeiten ist eine recht simple, aber effektive Methode, gute Freund:innen zu befragen. Wofür schätzen sie einen? Finden sie es super, dass ich eine Person bin, die sich immer um die Reservierungen im Restaurant kümmert (= organisiert), die sie nachts anrufen können (= hilfsbereit) oder die auf die Kids in der Nachbarschaft aufpasst (= engagiert)? Gerade für Menschen mit Impostor-Syndrom kann es eine wunderbare Erfahrung sein, die eigenen Stärken aufgezählt zu bekommen.
Bei fachspezifischen Kompetenzen gestaltet sich die Suche nach dem Kern oft schwieriger. Eine Ausbildung oder ein Studium können Aufschluss geben, aber immer mehr Menschen machen nach jahrelangem Berufsleben etwas völlig anderes, als sie ursprünglich gelernt haben. Die letzten Jobs sind ein besserer Hinweis und mitunter auch die Arbeitszeugnisse. Wohlgesonnene Kolleg:innen können die Frage ebenfalls beantworten.
Worin will ich gut sein?
Ich habe vor einigen Jahren gelesen, dass viele Menschen viel Energie darauf verwenden, ihre Schwächen auf ein Mittelmaß zu heben, anstatt ihre Stärken weiter zu verbessern. Das kann ein guter Rat sein: Wenn für eine bestimmte Tätigkeit eine bestimmte Fähigkeit benötigt wird, ist es durchaus sinnvoll, sie trotz Talentlosigkeit oder Unkenntnis zu fördern, zum Beispiel den Umgang mit einer bestimmten Software, die für die tägliche Arbeit benötigt wird. In allen anderen Fällen ist es meiner Ansicht nach absolut legitim, genau zu hinterfragen, ob wir eine bestimmte Kompetenz unbedingt selbst brauchen oder es beispielsweise reicht, wenn zwei andere Personen im Team darüber verfügen. Im Rahmen eines guten Arbeitsverhältnisses macht es dazu noch Sinn, das Gespräch mit der Führungskraft zu suchen, um evtl. zu erfahren, wo die strategische Reise in den nächsten Jahren hingeht und welche Qualifikationen in Zukunft benötigt werden.
Nicht zuletzt verhält es sich in der Regel so, dass uns die Tätigkeiten, die wir gut beherrschen, auch am meisten Freude bereiten. Insofern ist bei den meisten Menschen bei für sie spannenden Themen ein schnellerer und größerer Lernerfolg zu erwarten, als wenn sie mit dem Thema nicht warm werden – schon allein deswegen, weil die Übungseinheiten tendenziell besser eingehalten werden. Es ist daher nur erfolgversprechend, sich an dem zu orientieren, was einem Spaß macht.
Eine Erfahrung, die ich selbst immer wieder mache: Es ist hilfreich, wenn ich mir nicht nur einrede, dass ich das Thema interessant finde. Ein „Ich sollte mich mit diesem Thema befassen, denn es ist ja wirklich wichtig und spannend“ funktioniert meist eher schlecht – ähnlich wie bei guten Vorsätzen. Ich brauche einen überzeugenden Grund, um gerade in Durchhänger-Phasen dranzubleiben.
Wie werde ich gut?
Es gibt unzählige Möglichkeiten der Weiterbildung: Klassische Buchlektüre, ein Abendkurs bei der VHS, ein berufsbegleitendes Studium, Online-Tutorials, Messebesuch … Gerade wenn ein gutes Verhältnis zum Arbeitgeber besteht, empfehle ich, diesen nach Kostenübernahme oder -unterstützung zu fragen, oder danach, ob es okay ist, während der Arbeitszeit für die Weiterbildung zu lernen.
Meiner Erfahrung nach sind Arbeitgeber mitunter offener, als eins denkt. Viele Unternehmen verfügen über ein Weiterbildungsbudget, das häufig nicht ausgeschöpft wird, und freuen sich, wenn Mitarbeitende proaktiv auf sie zukommen. Als „Gegenleistung“ wird dann beispielsweise eine Zusammenfassung für die Kolleg:innen gewünscht.
Mir persönlich hilft beim Lernen der Austausch – sei es, dass ich meinen Kolleg:innen regelmäßig von meinen Lern-Inhalten berichte, bereits ein Probe-Projekt am Start habe oder mit meinen Freund:innen testhalber übe, Personalgespräche zu führen. Je nach Typ kann es sich bewähren, nicht allzu lange im Theorieteil zu verharren, sondern möglichst früh in die praktische Anwendung zu gehen – wie diese, abhängig vom Thema, auch immer aussehen mag.
Und jetzt?
Wie bei aller Theorie klingt das hier Geschilderte erst einmal sehr einfach. Trotzdem verbringe ich immer wieder Zeit damit, mich zu fragen, worin ich gut bin. Meine Freund:innen beschreiben mich als gut organisiert, zuverlässig, unkompliziert, mutig oder inspirierend. In alten Arbeitszeugnissen werde ich für meine strukturierte Arbeitsweise, Eigeninitiative, Engagement, Teamorientierung und Verantwortungsbewusstsein gelobt.
Was die fachlichen Kompetenzen angeht, stelle ich immer häufiger fest, dass Übung den Meister macht. Schreiben ist bei mir ein gutes Beispiel: Ich bekam in meinem allerersten Job eine recht gründliche Einführung ins Texten – zumindest in die Textarten, die für das damalige Unternehmen relevant waren. Derzeit mache ich hauptberuflich überhaupt nichts mit Text, aber stelle fest, dass es mir enorm hilft, regelmäßig Texte zu verfassen, zum Beispiel für dieses Unternehmensblog. Einfach aus dem simplen Grund, um schreibtechnisch in Übung zu bleiben und keine Angst vor dem weißen Blatt zu haben.
Daher achte ich bei all meinen Weiterbildungen darauf, sie praktisch anwenden zu können. Gerade Social Media funktioniert meiner Erfahrung nach am besten, wenn ich einen echten Account zur Verfügung habe, bei dem ich die Freiheit habe, das ein oder andere neue Tool einfach ausprobieren zu können. Auch bei Fotografie bringt es mir mehr, Tutorials für bestimmte Fragestellungen zu studieren, wenn ein entsprechendes Shooting ansteht, als eine komplette Online-Meisterklasse zu belegen und meine Kamera die nächsten drei Monate im Regal liegen zu lassen.
Ich werde in diesem Leben wohl keine Koryphäe für ein einzelnes Fachgebiet mehr, sondern Allrounderin bleiben. Ein Kollege meinte kürzlich, dass ich ein so genanntes T-Shaped-Profil habe, also sowohl über Generalwissen als auch spezialisierte Fachkenntnisse verfüge. Das passt tatsächlich recht gut, da ich in meiner Haupttätigkeit durchaus spezialisiert bin, aber darüber hinaus jede Menge mehr oder weniges nützliches Wissen zu den verschiedensten Themen in mir umherschwirrt. Das Schöne ist: Dadurch kann sich mein Schwerpunkt immer wieder verändern. Denn ich bin gut darin, mich für neue Projekte zu begeistern, und fände es auch schade, nicht mehr alles ausprobieren zu können. Insofern bin ich also genau dort, wo ich sein will, und wo ich in zehn Jahren sein werde, will ich heute noch gar nicht wissen, sonst wäre es ja kein Abenteuer.