Liebe Person, die diese Worte liest, bitte versuch dich zu erinnern, welches die letzte positive Meldung war, die du in den Nachrichten gehört hast.
Als ich mir die Frage zum Jahresbeginn 2023 selbst gestellt habe, fiel mir die Aktualisierung des Abtreibungsparagrafen 219a ein – die in der Tat eine gute Nachricht ist, jedoch zu diesem Zeitpunkt schon etwa ein halbes Jahr vergangen war. Sollte das nun etwa heißen, dass es so lange keine positiven Nachrichten gab? Oder dass ich mich nicht ausreichend über das Weltgeschehen informiert hatte?
Wie entstehen Nachrichten?
Ganz bestimmt nicht. Es ist eher so, dass wir Menschen einige Verhaltensmuster integriert haben, die uns einfach nicht nützlich sind, so auch den Instinkt der Negativität – mein Kollege Björn hat das in einem Blogartikel näher erläutert. In eine ähnliche Kerbe schlägt ein Buch, das ich kürzlich gelesen habe und das mich innehalten ließ: »Wie wir die Welt sehen« von Ronja von Wurmb-Seibel. Hierin berichtet die Journalistin von ihren eigenen Erfahrungen mit Nachrichten, also dass sie häufig nur negative Themen behandeln und wie ihr das aufs Gemüt schlägt.
Sie beleuchtet in dem Buch mehrere Facetten:
- Wir reproduzieren unser Bild von etwas in den Nachrichten und dadurch wird es mitunter zu einseitig. Von Wurmb-Seibel hat diese Erfahrung gemacht, als sie in Afghanistan arbeitete und feststellte, dass der Alltag dort viel alltäglicher war, als sie es sich aufgrund der Berichterstattung vorher ausgemalt hatte.
- Die Kriterien für das, was den Nachrichtenwert einer Nachricht bestimmt, zum Beispiel Aktualität, räumliche Nähe und Überraschung (allerdings nur im Rahmen der Erwartungen), gibt es seit etwa hundert Jahren – natürlich werden sie immer wieder aktualisiert. Viele Medien nehmen diese Beschreibungen jedoch zum Maßstab für die Auswahl ihrer Nachrichten, statt sie zu hinterfragen oder für sich neu zu definieren.
Daraus ergibt sich eine Herausforderung für positive Nachrichten: Diese müssen denselben Nachrichtenwert wie negative Nachrichten erreichen. Das ist mitunter schwierig, weil Veränderungen manchmal lange dauern, nur in kleinen Schritten vorangehen und häufig keinen fixen Abschluss haben.
Wie reagieren wir auf Nachrichten?
Wir Menschen bekommen also sehr viele negativ geprägte Nachrichten präsentiert. Dadurch kann Angst entstehen und alles, was eine Begleit- oder Folgeerscheinung von Angst ist, also Depression, Panik, Lethargie etc. Insbesondere das Gefühl von Selbstwirksamkeit geht verloren, da laut den Nachrichten die ganze Welt immer schlimmer zu werden scheint und es als Nachrichtenkonsument:in häufig nicht ersichtlich ist, wie ein einzelner Mensch daran überhaupt etwas verändern könnte. Von Wurmb-Seibel schlägt daher vor, die täglichen Nachrichten als eine Art Fehlerbericht zu sehen, der aufzeigt, was heute in der Welt gerade nicht passt.
Motivierende Aspekte einbeziehen
Ein Ansatz im Journalismus, um hier gegenzusteuern, besteht darin, den Nachrichten eine positive Wendung zu geben. Es geht nicht um Beschönigung, sondern darum, positive Aspekte zu finden – so könnten beispielsweise in einem Artikel über Plastikmüll in den Meeren Menschen Erwähnung finden, die immer wieder im Rahmen von ehrenamtlichen Aktionen die Strände säubern.
Dieses Konzept wird konstruktiver oder lösungsorientierter Journalismus genannt. Es erfordert mitunter aufwändigere Recherchen, da positive Nachrichten nicht immer so einfach zu finden sind. Gerade bei Magazinen, die nicht nur tagesaktuelle News aufbereiten, ist dieser Ansatz jedoch schon seit Jahren verbreitet. So werden zum Beispiel von brand eins regelmäßig Unternehmen vorgestellt, die ihren eigenen Weg im Wirtschaftsleben gehen, und somit mögliche Lösungen für bestimmte Herausforderungen präsentiert.
Wie machen wir es besser?
Apropos Wirtschaftsleben: Wie können Unternehmen diese Erkenntnisse verwerten und beherzigen? Ich habe hier einige beispielhafte Möglichkeiten gesammelt:
- Es gibt den typischen Fall, zu Beginn eines Meetings noch auf verspätete Personen zu warten. Wie wäre es, beim Smalltalk nicht darüber zu meckern, dass es wieder regnet, sondern sich zu freuen, dass die Wasserspeicher wieder aufgefüllt werden? Ein positives Thema schafft bessere Stimmung als gemeinsames Schimpfen – und wirkt sich auf die Atmosphäre des kompletten Meetings aus.
- Viele Unternehmen haben Tools, mit denen sie die Zufriedenheit ihrer Kundschaft abfragen, und nehmen auf Grundlage dieser Erkenntnisse Verbesserungen vor. Tue Gutes und rede darüber – statt in den Unternehmensnews also nur zu kommunizieren, wie viele Menschen zufrieden mit dem Service sind, darf auch ruhig darauf eingegangen werden, was konkret verändert wurde. Denn das ist einerseits viel authentischer als reine Lobhudelei und zeigt den Kund:innen andererseits, dass ihr Feedback tatsächlich Gehör findet, Stichwort Selbstwirksamkeit.
Warum sollen wir es besser machen?
Ich möchte gar nicht zu sehr darauf herumreiten, dass wir nach mehreren Jahren Pandemie alle ein bisschen oder auch stärker erschöpft sind und positive Stimmung gut brauchen können. Prinzipiell geht es für Unternehmen darum, bei ihren Kund:innen und ihren Mitarbeitenden Loyalität zu erzeugen – denn beide Gruppen sind ein wichtiger Baustein für den Unternehmenserfolg. Und da die Kundschaft und die Belegschaft aus Menschen bestehen, funktioniert das mit einem Lächeln und der Kommunikation gegenseitiger Wertschätzung potenziell besser als mit reiner Sachlichkeit oder gar Unfreundlichkeit.
Wer jetzt einwendet, dass so viel Positivität allgemein naiv sei, dem sei zum Abschluss dieses Interview mit einem niederländischen Historiker empfohlen, in dem dieser ausführt, dass es mit uns als Menschheit gar nicht so schlecht steht, wie wir immer denken.