Viel zu viele Unternehmen und Agenturen spielen mit der Aufmerksamkeit ihrer Konsumenten und ihrem eigenen Geld
Vor zehn Jahren war es noch wesentlich einfacher, jemanden mit digitalen Markenbotschaften zu fesseln. Da verbrachte man schon mal längere Zeit damit, sich durch die CD-Rom eines Unternehmens zu klicken, das mit aufwändigen Multimedia-Präsentationen für sich und seine Produkte warb. Sportartikelhersteller präsentierten Videos von talentierten Athleten, mit einem Blick hinter die Kulissen beim Dreh, Schreibtischhintergründe zum Download, Interviews mit dem Produzenten und so weiter. Genug Material, um die Nutzer längere Zeit an sich und den PC zu fesseln.
Heute gibt es kaum noch Werbe-CDs, aus gutem Grund. Für Agenturen und werbetreibende Unternehmen stellt sich trotzdem die unangenehme Frage: Wie kommt es, dass Marken von den Nutzern – wenn überhaupt – nur noch wenige Minuten oder gar Sekunden der bewussten oder unterbewussten Aufmerksamkeit erhalten?
Um die Antworten zu finden, muss man verstehen, wie Marken und ihre Agenturen eigentlich angefangen haben das Internet zu nutzen. Irgendwann um 2002 kamen plötzlich zahlreiche Unternehmen auf die Idee, das Potenzial von Millionen von Besuchern im Internet mit sogenannten Microsites auszuschöpfen.
Auf diesen kleinen Websites, meist parallel zum Unternehmensauftritt, sollten möglichst viele Informationen zu einem Produkt oder einer Produktreihe gezeigt werden. Das war ein wunderbarer Platz, um Handbücher, Produktzutaten oder Fotos der klassischen Werbung nochmals zu verwenden. Die Agentur wurde beauftragt, weitere Inhalte zu erstellen. »So sieht das ja noch ein bisschen leer aus. Außerdem sollen die Kunden mit unseren Inhalten interagieren und einen Grund haben, die Seite öfter zu besuchen.« Zahlreiche Agenturen verdienen seitdem gutes Geld, indem sie Rezepte, Gewinnspiele, Glossare, »unterhaltsame« Spiele, Making-of-Videos und Desktophintergründe erstellen. Seitdem das Buzzword Social Media Einzug in Marketingabteilungen gefunden hat, gesellen sich dazu oft noch Facebook-Seiten, Fotowettbewerbe und vieles mehr.
Modernes Brand Involvement
Wieso wollen wir die Herausforderung Brand Involvement noch genauso lösen wie vor zehn Jahren? Wir verwenden neue Medien und versenden keine CD-Roms mehr. Aber wir streben immer noch nach dem gleichen Ziel: Der Konsument soll mehr Zeit bei uns verbringen und sich mehr mit uns und unseren Produkten beschäftigen. Niemand kann leugnen, dass sich in den vergangenen zehn Jahren alles andere verändert hat: Das Internet dringt zunehmend in unseren Alltag ein. Nicht nur über den PC, sondern zunehmend über mobile Geräte, Sensoren und bald auch mit dem Kühlschrank. Aber die Aufmerksamkeitsspanne der Konsumenten sinkt und damit natürlich die Effizienz des Marketings. Um dem entgegenzuwirken, erstellen wir absurderweise mehr Inhalte, mehr Schreibtischhintergründe, Umfragen und Klingeltöne.
Haben Sie sich einmal gefragt, was diese »Lückenfüller« am Ende des Tages bringen? Nehmen wir zum Beispiel einmal das Versenden von virtuellen Postkarten (E-Cards). Der Aufwand für die Erstellung einer solchen Web-Applikation liegt oft bei mehreren Tausend Euro. Konsumenten können damit eine gewöhnliche Nachricht verschicken. Der Blick hinter die Kulissen macht es übrigens nicht weniger absurd: Die harten Fakten, die Zugriffsdaten für diese Anwendungen sind bis heute erschreckend gering und stehen oft in keinem Verhältnis zur Investition.
Verstehen sie mich nicht falsch, ich halte weder CD-Roms, noch Microsites oder Apps für das Problem. Viel mehr scheinen Agenturen und werbetreibende Unternehmen in den vergangenen Jahren den Respekt vor ihrem Geld und der Zeit verloren zu haben. Nicht nur die Zeit der Produktion, sondern vor allem die Zeit des Konsumenten. In zehn Jahren werden diese noch weniger Zeit für Marken und ihre Lückenfüller haben. Da gibt es noch die Familie, die Liebe, Freunde, Arbeit, Sport, Entertainment, Reisen, Ziele und so weiter.
Es ist an der Zeit, diesen Respekt vor Geld und Zeit zurückzugewinnen. Das Ziel von teuren Investitionen darf in Zukunft nicht mehr sein, mehr Zeit und Aufmerksamkeit des Konsumenten in Anspruch nehmen zu können. Stattdessen sollten wir die wenige Zeit und Aufmerksamkeit, die wir genießen, besser nutzen. Marketing ist nicht immer die Antwort. Vielleicht ist es ein neues digitales Produkt? Welche alltäglichen Herausforderungen können wir in Zukunft für den Konsumenten lösen, ohne ihm die Zeit zu stehlen?
Dieser Artikel erschien – um die Interessen der IHK nicht zu verletzen leicht abgewandelt – im Marketingspecial in der WiM 10.2011.