Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Nachdem wir uns seit einigen Jahren oder Jahrzehnten mehr oder weniger kompetent in dieser neuen Welt namens Internet bewegen, ist nun etwas eingetreten, womit vor einigen Jahren noch niemand gerechnet hätte: Wir haben uns an die Werbung dort gewöhnt und finden sie gut.
Einer Bitkom-Umfrage zufolge finden 61 Prozent der Menschen Werbung prinzipiell okay – weil sie dadurch den Dienst kostenlos nutzen können – und 63 Prozent wollen sogar schon nicht mehr auf Werbung in sozialen Netzwerken verzichten, weil sie dadurch neue Angebote entdecken. Da ich das anfangs nicht glauben konnte, habe ich weiter recherchiert und bin auf weitere Befragungen mit ähnlichen Aussagen gestoßen: In einer Studie des Bundesverbands Digitale Wirtschaft wurde Internet-Werbung zwar als störendes Übel betrachtet, aber als prinzipiell notwendig akzeptiert. Auch Statista kommt auf vergleichbare Aussagen.
Es mutet schon fast paradox an: Die befragten Internet-User:innen bezeichnen Werbung an sich als störend, allerdings nur, solange die beworbenen Produkte für sie nicht interessant sind. Sobald sie sich für die Produkte interessieren oder gar begeistern, finden sie die Werbung okay und stufen sie anscheinend als nützlich ein.
Personalisierung und Kontextualisierung
Nicht verwunderlich: Vielen Nutzer:innen fällt es schwer, redaktionelle Inhalte von Werbung zu unterscheiden. Das gilt übrigens für beide Richtungen: Mitunter erkennen User:innen nicht, welche Produkte oder Suchanzeigen gekauft sind, manchmal halten sie aber auch redaktionellen Content von Influencer:innen für bezahlt. Daher findet es gerade die ältere Generation wichtig, dass Werbung sichtbar gekennzeichnet ist.
Interessant finde ich die Einordnung der Personalisierung: In der besagten Bundesverband-Studie wird erläutert, dass die Akzeptanz für kontextualisierte Anzeigen recht hoch ist. Personalisierte Werbung bekommt zwar etwas höhere Aufmerksamkeit, aber wird weniger akzeptiert, da sich fast zwei Drittel durch sie ausspioniert fühlen.
Das kann ich aus persönlicher Erfahrung bestätigen. Selbstverständlich ist mir bewusst, dass alle meine Aktivitäten im Internet maschinell verfolgt und ausgewertet werden. Trotzdem empfinde ich es als unangenehm, wenn ich beispielsweise bei politischen Diskussionen den Standpunkt der Gegenseite recherchiere und anschließend von entsprechenden Gruppierungen Werbung ausgespielt bekomme. Dadurch ist Werbung – die ich ansonsten gut ausblenden kann, wenn ich privat im Internet unterwegs bin, Stichwort Banner-Blindheit – plötzlich ein störendes Element in meinem News-Feed, das mir im ersten Moment ein Stirnrunzeln entlockt und dazu führt, dass ich meine Aktivitäten der letzten Tage überdenke. Wenn ich hingegen »nur« kontextualisierte Werbung erhalte, kann ich diese, je nach Tagesform, ausblenden oder kurz scannen.
Das Gießkannenprinzip ist nicht mehr zeitgemäß
Als Beschäftigte einer Werbeagentur finde ich diese Ergebnisse mit der hohen Werbeakzeptanz selbstverständlich super. Aber nein, im Ernst: Sie zeigen für mich, dass Werbung nicht einfach Werbung ist. Es ist heutzutage wichtiger denn je, den Kontext, in dem eine Werbung ausgespielt wird, zu kennen – egal, ob es sich um ein Banner, einen gesponserten Beitrag oder ein Gewinnspiel handelt. Und die entsprechende Marketingmaßnahme darauf abzustimmen: auf den Inhalt, auf das Umfeld, auf die Zielgruppe.
Die Umfragen zeigen auch, dass die User:innen sich über die Hintergründe und Zusammenhänge im digitalen Business bewusst sind und, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, versuchen, sie zu verstehen. Dazu passt auch das neue Phänomen Sinnfluencer – eine Untergruppe von Influencern, die für einen nachhaltigen Lebensstil stehen (= Sinn) und bei der Auswahl ihrer Werbepartner:innen darauf achten, dass die Firmen die Werte vertreten, die sie in den Botschaften an ihre Follower weitergeben.
Vielen Unternehmen scheint langsam bewusst zu werden, dass ihre Werbebotschaften nicht im luftleeren Raum verhallen. Im Zusammenhang des russischen Angriffs auf die Ukraine hat der deutsche Werberat einige Wochen nach Kriegsbeginn zwar einige Hinweise auf unangemessene Werbung erhalten, auf die alle Unternehmen aber schnell reagiert hätten, sobald sie darauf angesprochen wurden. (Was leider nicht heißt, dass Werbung nicht mehr mitunter sexistisch, rassistisch oder anderweitig diskriminierend oder unangemessen ist – hierfür wird es wohl noch ein paar weitere Jahrzehnte brauchen.)
Sind jetzt endlich alle zufrieden?
Im Grunde sind diese Erkenntnisse die Basis für eine Win-Win-Situation: Unternehmen geben sich Mühe, ihre Werbung im möglichst passenden Kontext auszuspielen, und User:innen reagieren positiv darauf und sind offen für die Angebote. Vielleicht läutet diese Entwicklung, wenn ich eine persönliche Hoffnung loswerden darf, das Ende von blinkenden, augenkrebserregenden und wirklich störenden Bannern ein, die stattdessen durch dezente und freundlich gestaltete Banner oder auch einfach Native Ads ersetzt werden, die zumindest noch irgendwie zum Thema passen.