Es ist zu viel. Ständig klingelt, piepst und blinkt es. Uns wird auch immer mehr bewusst, dass es ein Zuviel an Digitalem gibt, denn dafür gibt es jetzt ein schickes Modewort: Digital Detox. Das klingt sehr clean, sehr modern und sehr leicht umzusetzen – wie die grünen Gemüse-Smoothies, die man super-easy selbst machen kann, die aber trotzdem fast nie schmecken. Hinter dem fancy Begriff »Digital Detox« finden sich ein paar sehr alte Traditionen wie Zeit an der frischen Luft verbringen oder regelmäßige Pausen. Trotzdem scheint es nicht so easy zu sein, wie es den Anschein erweckt.
Warum überhaupt?
Der Sinn und Zweck hinter den Detox-Ambitionen ist einfach zu benennen: Der Wunsch nach Pause. Dass Pausen unerlässlich sind, um sich zu erholen und danach mit frischer Kraft weiterzumachen, ist unbestritten. Es macht immer mehr den Eindruck, dass wir diese Art von Pause auch vom Digitalen brauchen. Zwar benutzen viele Menschen ihre Smartphones gerade in ihren Pausen ausgiebig, aber die Wirkung ist alles andere als erholsam. Das Schlagwort Smartphone-Sucht ist in aller Munde, auch wenn die wissenschaftliche Forschungslage noch etwas unklar ist. Hinter diesem Phänomen stecken zum Beispiel viele schlechte Gewohnheiten und die Angst, etwas zu verpassen. Auch die Ausschüttung des Glückshormons Dopamin, sobald man ein Like erhält, trägt ihren Teil dazu bei.
Mensch möchte also so viel Zeit wie möglich mit seinem Smartphone verbringen, fühlt sich dadurch aber gleichzeitig gestresst. Denn anders als bei der Konzentration auf eine einzige Aufgabe erhält man bei der Smartphone-Nutzung viele Impulse auf einmal, selbst wenn man nur einen Wikipedia-Text liest. Denn erste Studien haben ergeben, dass bereits die Möglichkeit, auf einen Link zu klicken, Ressourcen im Gehirn erfordert. Auch die ständige Bewertung von Inhalten – ob es sich beispielsweise um gesicherte Informationen oder Fake News handelt – sorgt für Überforderung. Inwieweit das Gehirn sich durch den regelmäßigen Digital-Konsum verändert, muss noch abgewartet werden. Da es sich hier um ein relativ neues Forschungsfeld handelt, sind viele der bisherigen Erkenntnisse unter Vorbehalt zu werten.
Trotzdem zweifeln die meisten nicht am Einfluss der digitalen Welt auf unser Verhalten – wahrscheinlich, weil wir vieles davon bei uns selbst bemerken. Wir registrieren unsere geistige Abwesenheit, obwohl wir physisch anwesend sind, wir bemerken unsere Zerstreutheit, unser Gehetztsein und unsere Panik, wenn wir unser Handy irgendwo vergessen.
Alltag ist wichtiger als Urlaub
Digital Detox Camps oder Retreats sind sicher eine gute Sache. Um der Angst, dass es keine Erinnerungsfotos gibt, entgegen zu wirken, wird sogar mit offiziellen Camp-Fotograf*innen geworben. Wichtiger ist jedoch, die digitalen Auszeiten in den Alltag zu integrieren. Denn so sinnvoll ein Urlaub für die Regeneration ist, ist es für unser Gehirn trotzdem nicht ausreichend, diese nur ein paar Mal im Jahr zu bekommen.
Zum Thema Gesundheit am Arbeitsplatz hat meine Kollegin Christina schon umfassend geschrieben. Aber wir sind ja bekanntermaßen nicht nur unser Job – und wenn wir schon völlig news-geflasht ins Büro kommen, erbringen wir dort wahrscheinlich keine gute Leistung. Womöglich sind wir aber auch froh, dass wir im Job eine klare To-do-Liste haben. Denn viele von uns plagt ein latent schlechtes Gewissen über die viele online verbrachte Zeit, in der wir oft nichts Gehaltvolles recherchieren, sondern stattdessen mit halber Aufmerksamkeit durch soziale Netzwerke scrollen.
Wie funktioniert Digital Detox konkret?
Digital Detox gibt es in unzähligen Formen und Varianten. In vielerlei Hinsicht erscheint es wie eine weitere Facette des Yoga- und Achtsamkeitstrends. Die Empfehlungen reichen von Waldbaden, ayurvedischer Ernährung und Yoga bis hin zur Kontrolle des Medienkonsums. Womöglich sind es aber nur verschiedene Ansatzpunkte: Auf der einen Seite gibt es den eher achtsamkeitsbasierten Trend, der viele Methoden wie Spaziergänge in der Natur oder bestimmte Atemtechniken vereint. Während der positive Einfluss von Techniken wie Yoga oder Meditation wissenschaftlich erwiesen ist, sind viele Menschen bei Ideen wie Waldbaden oder Steine sammeln skeptisch. Auf der anderen Seite gibt es die Tendenz, sich eher an wirtschaftswissenschaftlichen Verhaltensweisen wie Prioritätensetzung zu orientieren und diese ins Privatleben zu übertragen. Ein Beispiel hierfür wäre, seine privaten Mails nur einmal am Abend zu kontrollieren, und dazwischen das Mail-Programm oder die Push-Nachrichten auszuschalten. Und dann gibt es noch viele Ideen dazwischen, die teils durchaus interessante Anregungen bieten, wie zum Beispiel die, sein Handy einfach in den Schwarzweiß-Modus zu stellen.
Eine Frage, die jede*r für sich beantworten muss, ist die, wie viel Abschalten nötig und möglich ist. Denn trotz allem Wunsch nach Erholung möchten die meisten auf dem Laufenden bleiben, was die Ereignisse in ihrem direkten Umfeld angeht – und müssen es in einigen Fällen sogar, beispielsweise, wenn Kinder in ihrem Verantwortungsbereich sind.
Meine persönliche Vorgehensweise
Bei mir war und ist es ein schleichender Prozess. Ich habe in den letzten Jahren immer öfter festgestellt, wie sehr ich es genieße, in die Natur zu kommen und mich zu bewegen. Seitdem versuche ich mich an regelmäßigen Wander- oder Spaziergang-Dates mit meinen Lieblingsmenschen. Mein privates Mail-Programm ist Zuhause auch nicht mehr den ganzen Abend offen, sondern nur für ein oder zwei Stunden, um aktuelle Projekte zu bearbeiten. Außerdem versuche ich, zumindest in der letzten Stunde vor dem Schlafengehen lieber zu lesen als Serien zu gucken. Mir fällt es nach wie vor schwer, nicht sofort auf Nachrichten zu antworten. Überwiegend gelingt mir das ganz gut, aber gerade bei Lieblingsmenschen ist meine Tendenz oft, mich unmittelbar zurückzumelden – obwohl ich weiß, dass es bei komplexeren Themen oder schwierigen Fragen oft hilfreich ist, erst einmal ein paar Stunden darüber nachzudenken. Bei Treffen mit Freund*innen fiel es mir schon immer leicht, meine Benachrichtigungen (außer dem Telefon sowieso fast alle lautlos) zu vernachlässigen oder ganz zu ignorieren. Am anfälligsten für sinnloses Surfen bin ich tendenziell, wenn ich mich langweile, unterwegs bin oder nicht sicher bin, was ich eigentlich gerade tun will.
Ich liebe das Internet und meine elektronischen Geräte nach wie vor sehr. Gezielte Recherchen zu jeder Tages- und Nachtzeit sind super und die Möglichkeiten, mit anderen Menschen in Kontakt zu bleiben, sowieso. Aber ich habe auch gelernt, dass die Welt nicht untergeht, wenn ich ein paar Stunden offline bin. Und dass mein Körper und Geist es schätzen, nicht den ganzen Tag von hellem Licht angeflimmert zu werden und immer auf Abruf zu sein. Daher versuche ich, mir diese Aspekte immer wieder im Alltag bewusst zu machen und jeden Tag, zumindest ein paar Stunden Digital Detox zu betreiben.